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Full text of "Descartes' Entwicklung in der erklarung der tierischen Lebenserscheinungen"

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DESCARTES' ENTWICKLUNG 

IN DER 

ERKLÄRUNG DER TIERISCHEN 
LEBENSERSCHEINUNGEN 



DISSERTATION 
zur Erlangung der Doktorwürde 

bei der philosophischen Fakultät 

der Grossherzoglich Hessischen Ludwigs-Universität 
zu Giessen 

eingereicht von 

W1LH. A. J. MEYER 

aus Menden (Kr. Iserlohn). 



Giessen 1907 

▼. Münchow'sche Hof- u. Univ. -Druckerei (O. Kindt) Giessen. 



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Genehmigt durch das Prüfungskollegium 

am 12. X. 1906 

Referent: Geh. Hof-R. Prof. Dr. Sieb eck. 



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Inhaltsverzeichnis. 



Seite 

I. Einleitende Bemerkungen 5 

II. Descartes* Stellung von 1630 bis zum Winter 1645/46 19 

1. Wesensunterschied zwischen Mensch und Tier und die 
machanistische Erklärung des tierischen Lebens im all- 
gemeinen (1630 — 37) 19 

2. Das tierische Empfinden (1637) 21 

3. Die erste Auseinandersetzung mit der Scholastik (1637) 24 

4. Die tierischen Affekte und Leidenschaften (1638) ... 26 

5. Die tierischen Strebungen und Einbildungen (1639/40) . 28 

6 Das tierische Gedächtnis (1640) 31 

7. Die zweite Auseinandersetzung mit der Scholastik (1641/42) 41 

III. Rück- und Ausblick 48 

1. Kritik des gehobenen Materiales 48 

2. Orientierung am Begriff cogitare 52 

3. Orientierung in der sekundären Literatur. Vorläufiges 
Ergebnis 60 

IV. Die Fortbildung der Lehre Descartes* nach 

Winter 1645/46 65 

1. Die tiefere systematische Begründung desFundamental- 
unterschiedes zwischen Mensch und Tier; die Zertrümme 
rung der Vulgärpsychologie (1646) 65 

2. Die positive Fortbildung der Lehre D.': Das tierische 
Bewusstsein (1646) 69 

3. Die Unbe weisbarkeit der Bewusstlosigkeit der Tiere ( 1649) 76 

V. Schlussbemerkungen 84 

Literaturverzeichnis .* 89 

Lebenslauf 92 



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I. Einleitende Bemerkungen. 

Wer die weiten Gefilde der Descartes-Literatur durch- 
wandert, wird die Beobachtung machen, dag die Briefe Des- 
cartes' herzlich wenig für die Ergänzung und die Erläuterung 
feines Syftemes, wie es uns in feinen Hauptwerken vor- 
liegt, ausgebeutet find; das Eingeftändnis Meinckes(l), 
von den Briefen fei „nur gelegentlich die eine oder andere 
Stelle" zitiert, könnten die meiften Autoren der fekundären 
D.-Literatur fleh zu eigen machen. 

Angeflchts der Tatfache, dag die Darfteller des D.fchen 
Syftems fogar in Kernfragen auseinandergehen, dag felbft 
ein und diefelbe Stelle feiner Werke nach den verfchie- 
denften Richtungen hin interpretiert wird, kann man fleh 
der Einfldit nicht verfihließen: Bitter not tut uns die Ver- 
mehrung unleres Willens von D. nidit durch Kombination 
und Hypothefe, fondern durch Subftanz und Sadien, und 
es wäre traurig, wenn Stock (4) Recht hätte: „Das Ma- 
terial über die Philofophie des D. fiheint ausreichend vor- 
zuliegen; wenigftens wird etwas wefentlich Neues wohl 
kaum beigebracht werden können." 

Die Augerachtlaffung des Interpretationsgefefees autor 
ex autore bei D. mug auf den erften Blick umfomehr be- 
fremden, als fihon Clerfellier, der Freund D.' und 
erfte Herausgeber feiner Briefe, 1657 auf die hervor- 
ragende Wichtigkeit der Briefe für das D.fche Syftem 
aufmerkfam gemacht hat. Er nennt fle (V, 628) einfache 
Extrakte aus feinen Produktionen; faft jeder Brief behan- 
dele verfihiedene von einander unabhängige Fragen (V, 



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- 6 - 

621), er rühmt die Stärke der Gründe und die Glätte des 
Sinnes in ihnen (V, 622) und preilt die Stärke und Er- 
habenheit des D.fthen Geiftes, die fleh hier in der wunder- 
baren Lölung der fdiwierigften Fragen bemerkbar mache 
(V, 619). „Und was den Leier nicht wenig überrafchen 
wird, ift, dag die Erklärung lo groger Schwierigkeiten 
nicht auf eine dogmatifihe Art gefihieht, nodi durch die 
gewöhnlichen Formen der Beweile, londern in einem lo 
leichten und glatten Stile, dag es fcheint, die Gedanken 
flöffen ihm aus der Feder und fle wären ihm von f eiber 
in den Sinn gekommen (V, 622)." 1653 nennt Lipftorf 
die Briefe rerum philosophicarum plenissimas (I, XVIII); 
Leg ran d plante eine neue Ausgabe und die Namen 
der Sammler und Ordner der Briefe, La'Hire, Poirier 
und Arbogaft beweif en, dag audi in den folgenden 
Zeiten das Intereife für die Briefe D/ erhalten blieb, bis 
endlich Coufin 1824—26 zu ihrer Neuausgabe in 5 Bän- 
den fchritt. Aber auch jetjt blieb, trotjdem noch jüngft 
Schaarldimidt (19) und Mondiamp (c. III, 7) auf die 
Wichtigkeit der Briefe D.' zum Verftändnis feiner Philo- 
fophie hinwiefen, ihre Verwendung auf das rein hiftorifche 
G ebiet, Lebensgang des D., EntWickelung feiner Schule etc. 
befihränkt. Stößt man ausnahmsweife bei der Syftematik 
der Lehre D.' auf eine Briefftelle, fo dient fle mehr als 
dekoratives Element, denn zur Konftruktion des Baues, 
und fle ift faft immer eine der lieben alten Bekannten, die 
fleh längft das Heimatsrecht erworben haben, Eine rühm- 
liche Ausnahme macht Koch, der die Briefe in felbftän- 
diger und ausreichender Weife für leine Monographie be- 
nutzt hat. 

Fragt man nach der Uriache diefer für den erften 
Blick auffallenden Vernachläffigung der Briefe D.\ fo kann 
diele nicht in den orthographifihen, grammatifihen und 
ftiliftifchen Schwierigkeiten der Briefe liegen. Die fäiwan- 
kende Orthographie D/, die Verwendung des Konjunktivs 



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— 7 — 

in Hauptfäfeen, leine Vorliebe für den acc. c. inf., der 
intranfltive Gebrauch von imaginer, qüoique c. ind., der 
kaulale Gebrauch von d'autantque, pourceque, die Ver- 
wendung des examinierenden' que = als, die Stellung der 
Pronomina, die ausgedehnte Anwendung mächtiger Pe- 
rioden u. ä., das alles find Sachen, worin man fleh gar 
bald einlieft. Der Grund ift vielmehr vornehmlich in dem 
Mangel einer vollftändigen, chronologifch geordneten, kri- 
tifchen Ausgabe der Briefe zu fuchen. Dag die C 1 e r - 
fellierfihe Ausgabe dielen Anforderungen nicht ge- 
nügte, war nach den .bekannten Schiddalen der Brief manu- 
fkripte und "dem Mamaligen Standpunkt der philologifihen 
Wiffenf&aft felbftverftändlich. Daß aber .auch die Ausgabe 
Coulins den modernen Anforderungen nicht entfprach, 
zeigt die Seibitbeurteilung feines Werkes aus dem Jahre 
1866: „Es ift D.' nicht würdig, ich war noch zu jung, als 
ich es unternahm" (I, LXII). Die D.-Forfiher mußten um- 
fomehr Bedenken tragen, die gerade Straße feiner dog- 
matifihen Hauptwerke zu verlaifen und in die Silvas atque 
paludes der Briefe einzudringen, als fchon Clerfellier, 
der belte Kenner feiner Briefe, auf einige Schwierigkeiten 
hingewiefen hatte (V, 624): „Man darf nicht glauben, dag 
die Löfungen, die D. den ihm geftelKen fihwierigen 
Fragen gegeben hat, als feine leßten Entfihließungen gelten 
dürfen und als Entfiheidungen, wovon er felbft vollftändig 
befriedigt wäre. Sind doch darin mehrere Fragen, die 
er nur im Vorübergehen"; behandelte; einige hat er nur 
in den Umriffen bearbeitet, da fle ihm ja zum erften 
Male unter die Hand kamen; andere hat er fpäterhin in 
feinen Schriften korrigiert, da er mit der Zeit weifer ge- 
worden; bei anderen hat er fleh genauere Forfihung vor- 
behalten, wenn er mehr Luft und Muße für die notwen- 
digen Unterfuchungen haben würde, um feine Über- 
legungen zu rechtfertigen; wiederum bei anderen ^wollte 
er fleh nicht von vornherein feftlegen, weil er noch nicht 



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— 8 — 

wünfchte, fldi offen darüber auszufprechen." Kein Wunder, 
wenn man bisher Bedenken trug, den Jahrhunderte lang 
beackerten Boden der Hauptwerke D/ zu verfallen und in 
das Neuland feiner Korrefpondenz einzudringen und es 
fyftematifdi inbezug auf die in ihm verborgenen Schäfte zu 
unterfuchen. 

Da unternahmen es 1897 Adam und Tannery, 
durchdrungen von der Erkenntnis, dag zum Verftändnis 
der Werke D.' fortwährende Verweifungen auf feine Kor- 
refpondenz nötig feinen, eine allen modernen Anfprüchen 
auf Vollftändigkeit, Textflcherheit, fldiere Datierung ge- 
nügende Neuausgabe der Briefe auf Staatskoften heraus- 
zugeben, und zwar unter Beobachtung der chronologifchen 
Ordnung, damit das Denken des Philofophen in feiner 
fortlaufenden Entwiddung erfiheine (I, XI) und pourque 
la France puisse montrer, ä FExposition universelle de 
1900, une edition de son philosophe, digne d'elle et digne 
de lui (I, XIII). Zwar ift es den beiden Gelehrten nicht 
gelungen, den gefteckten Termin einzuhalten — erft am 
30. März 1903 verlieg der 5. (Schlug-) Band der Briefe 
die Prelle, und von der auf zehn Bände projektierten 
Gelamtausgabe ftehen nodi zwei aus — aber fle haben ihr 
ftolzes Wort eingelöft: Vor uns liegt eine Ausgabe, die 
nicht nur fämtliche bekannte Briefe D.' in chronologifiher 
Reihenfolge mit den ermittelten Gegenftücken der Adref- 
faten enthält, fondern auch mit philologifcher Akribie 
fämtliche Varianten, fihwer zugängliche erläuternde Per- 
fonal- und Sachnotizen bietet, mühevoll zufammengeftellte 
überflchtliche Tabellen enthält, die einen felbftändigen 
Vergleich mit andern Ausgaben geftatten, etc., kurz eine 
Ausgabe, die in ihrer einzig vornehmen Ausftattung und 
hervorragenden Durchführung den höchften Anforderungen 
untrer anfpruchsvollen Zeit genügt. 

Man lollte annehmen, dag in der nach dem D.-Jubi- 
]äum eingetretenen Hochflut in der Spezialliteratur — allein 



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— 9 — 

nach 1900 erfdrienen 36 Schriften und längere Aufläge 
über D. — diele neue Ausgabe den Anflog zu einer fyfte- 
matifdien Durcharbeitung der Briefe gegeben hätte; aber 
weit gefehlt, die meiften zitieren nach wie vor Clertel- 
lier und Coufin auch bei Briefftellen, und foviel wir 
fehen, haben nur acht die Briefe für ihre Zwecke gründlich 
nach der neuen Ausgabe benugt: Boutroux, Chrifti- 
anfen, v. Hertling, Hoffmann, Jorges, Keuffen, 
Pfeffer und Rodrigues. Die zum Teil überrafchenden 
Refultate, worauf Ipäter Bezug genommen werden mug, 
flehern dielen Schriften einen Plag unter den beften Spezial- 
fihriften aus dem vorigen Jahrhundert, denen eines S ch a a r - 
fdimidt, Loewe, Heinze, Grim m , Glogau, Koch, 
Natorp, Schwarz, Kupka, v. Hertling. 

Soll nun das von Adam und Tannery erfihloffene 
Material in Zukunft fruchtbringender für die exakte Dar- 
fteilung der D.fihen Philofophie fleh geftalten, fo ift zunächft 
zu fordern, dag das für eine Einzelfrage einfihlägige 
vollftändig und genau zitiert werde, weil lonft aus der 
Genefls und Entwicklung der D.fihen Anflehten, wie fle 
uns aus den Briefen entgegenleuchtet, keine Belehrung 
für das fertige Syftem zu erhoffen ift. Die Erforfihung 
der Überzeugungen von Männern wie D. haben nach 
Natorps Wort (Erkenntnistheorie 11) mehr als ein blog 
antiquarifihes Intereife und dürfen eine grögere Sorgfalt 
beanfpruchen, als man allgemein diefem Gegenftande zu 
widmen pflegt. Gerade die Briefe fpielten im 17. Jahr- 
hundert eine andere Rolle als heutzutage. Sie vertreten, 
wie Monchamp (58) bemerkt, die Stelle moderner Revue- 
artikel und wiffenfihaftlicher Bulletins, und die in ihnen 
enthaltene Wiifenfchaft dient in hervorragender Weile zur 
Erklärung gewiffer Stellen ihrer früheren oder fpäteren 
Werke. Ein Mann wie D. vollends,, der fogar die Stel- 
lung des einzelnen Wortes im Sag überlegte, — vergl. 
III, 61, wo wir erfahren, dag er Med. resp. III p. 259 f. 



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— lo- 
ci 6 ed.) das Wort idea zwei- oder dreimal hintereinander 
abflditlidi gefefet hat, desgl. I, 349, III, 340 — verdient 
dag man ihn nach der Regel behandelt, die er felbft 
Fermat gegenüber ausdrückt (II, 407): „Wie man forg- 
fältiger die kleinften Splitter von Diamanten als die 
größten Stücke von gewöhnlichen Steinen bemerkt, fo 
habe auch ich auf das kleinfte achten zu muffen geglaubt, 
was von Ihrer Seite herkommt, mehr, als wenn es von 
einer weniger geachteten Perlon käme." 

Zur richtigen Würdigung einer Briefftelle ift ferner 
die Berückfichtigung des Zufammenhanges unbedingt von 
nöten, ob fle, wie das überhaupt häufig bei D. vorkommt, 
nur eine gelegentliche, unwefentliche, leicht hingeworfene 
ift, oder ex professo gefihrieben ift, wo dann ein Zurück- 
gehen auf die Anfrage des Korrefpondenten und deffen 
philolophifche Stellung nicht zu vermeiden ift. Befonderes 
Intereffe bieten natürlich folche Materien, worüber fleh in 
feinen Hauptwerken nichts findet. Wir wiffen, dag D. 
fchon in der Form feiner Briefe fleh der größten Zurück- 
haltung befleißigte (cf. III, 565): Auch als Brief fihreiber 
ein Weltmann mit den Sitten der Gefellfchaft, läßt er fleh 
nur mit Standesgenoffen in ein geiftiges Duell ein (II, 149), 
immer weltgewandt und höflich (III, 494), mildert er 
fcharfe Ausdrücke in feinen Briefkonzepten oder zieht fle 
zurück (II, 271), weiß aber auch erforderlichenfalls ein 
entfehiedenes Wort zu fprechen (II, 51, 146); auf freund- 
lichen Gruß bietet er noch freundlicheren Gegengruß (II, 70), 
aber auch in delikaten Fällen bleibt er fleh immer bewußt, 
daß verba mitissima veritatem causae melius confirma- 
bunt (III, 68) cf. III, 340, Z. 7, und daß die Wahrheit fo 
wenig geachtet ift, wenn fle allein fteht, (III, 84), cf. auch 
III, 240, Z. 12 ff. Ebenfo vorflehtig war er in der Wahl 
deffen, was er von fleh gab. Wie er den Discours nur 
drucken ließ, um die Furten für feine phyfikalifihe Ab- 
handlung auszuforfihen (I, 370), wie er auch in Medi- 



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— 11 — 

tationen nadi dem Grundlage verfuhr, daß man nicht alles 
zu fagen brauche, was man wüßte, damit der Gegner fldi 
unvermerkt an die vorgetragenen Grundlage gewöhne 
(III, 297) und ihm Gelegenheit geboten werde, aus den 
vorgetragenen Erklärungen felbft Schlüffe zu ziehen 
(I, 411), fo trägt er auch in feinen Briefen, die er immer 
druckfertig niederfdirieb und deren Kopien er aufbe- 
wahrte, nicht lein Herz auf der Zunge und hat beim 
Schreiben immer den Korrelpondenten vor Augen. Longe 
enim difficilius est, de omnibus, quae ad rem medicam 
pertinent, meam sententiam exponere, quam cognitu faci- 
liora seligere, ac de reliquis prorsus tacere, quod ego in 
omnibus scientiis facere consueui (III, 433). Seinen Geg- 
nern und Feinden antwortet er nicht gern, oder kurz, 
und bricht dann plöglich die Korrefpondenz ab, weil er 
gleichfam inftinktiv aus der Schreibart und den Einwen- 
dungen des Gegners herausfühlt, dag eine erfpriegliche 
Verftändigung nicht zu erreichen ift. Aber auch wenn 
leine Freunde und die Anhänger leiner Lehre mit Zweifeln, 
Fragen, Einwendungen an ihn herantreten, fteigt er nicht 
von feiner einfamen olympifihen Höhe herunter, felbft hier 
nimmt er nur zu den unumgänglich notwendigen Konfe- 
quenzen feiner Lehre, in vorflchtiger Referve verharrend, 
Stellung: Tacere quidem in tempore, ac non omnia, quae 
sentimus, ultro proferre, prudentis est (IV, 256). Er kann 
aber auch Subtilität gegen Subtilität fefeen, und hellt zu- 
weilen mit grogem Scharffinn dunkle Punkte in feinem 
Syfteme auf und wir hören ihn manchmal Einwände ent- 
kräften, die noch heute mit gewichtigen Gründen gegen 
feine Lehre geltend gemacht werden. D. felbft mahnt, 
ebenfo fehr auf das zu achten, was er verfthweigt, als auf 
das, was er fagt, wenn eranFroidmont fchreibtd, 414 f): 
„Diefes und vieles Ähnliche hätte ich nicht blog dem, was 
ich über die Seele gefchrieben, fondern auch faft allen 
übrigen Gegenftänden hinzufügen können, aber ich habe 



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— 12 - 

«s gefliffentlich verfchwiegen, fowohl um nichts Fal- 
fihes zu lehren, indem ich jenes widerlege, londern auch da- 
mit es nicht den Anfihein gewinnt, als wollte ich in der Schule 
angenommene Meinungen verhöhnen." Unter dielen Um- 
Itänden fiheint mir gerade für die Benutzung der Briefe 
D.' beherzigenswert das Wort v. Hertlings (Köln. 
Volksztg. 4. Oktober 1905, No. 824): „Kein Anhaltspunkt 
<larf überiehen, jedem leifeften Winke muß nachgegangen 
werden, damit der wirkliche Sinn des Ausfpruches end- 
giltig feftgeftellt werde." 

Damit ferner jedes Fragment wiederum dem Gefüge 
eingegliedert werden kann, dem es entnommen ift, find 
<lie genaueften chronologifihen Datierungen nötig. Denn 
einmal ift durch die Unteriuchungen Millets, K. Fi- 
ichers, Baumanns und Natorps feftgeftellt, dag die 
regulae eine Vorftufe D.' bezeichnen, die fihon 9 Jahre vor 
dem Gewinn feiner metaphyfifchen Grundfätje erreicht 
war (Natorp 12), fie mithin nur ein intereffantes Schrift- 
ftück für D.' Entwicklung darfteilen, aber ungültig find] als 
Erkenntnisquelle feiner Philofophie (Bau mann 202) *). 
Bildet aber etwa das Jahr 1628 den Wendepunkt in den 
Anfchauungen des Philofophen, fo ift dies für die Erklä- 
rung der Briefftellen infofern von Bedeutung, als feine 
ganze philofophifche Korrefpondenz, die erft ^mit diefem 
Jahre einfefet, in feine zweite dogmatifche Periode fällt. 
Fernerhin lägt fich durch den Vergleich feiner methaphy- 
fifchen Hauptfchriften eine fortfchreitende genauere Prä- 
mierung gewiffer termini feftftellen. Als Markfteine für 
ihre Unterfuchung, die umfo notwendiger erfcheint, als D. 
fie ohne genaue Begrenzung in feine philofophifchen Er- 
örterungen aufgenommen hat, obwohl fie wefentliche Ele- 
mente feiner Beweisführung find, und als Ruhepunkte, 



*) Die Natorpsche Schule zieht allerdings die Baum an ti- 
sche Folgerung nicht. 



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- 13 — 

die zum Vergleich mit leinen Hauptfdiriften einlade n> 
werden fich mithin öfters ergeben die Erfiheinungsjahre 
des Discours 1637, der Meditationes 1641, der Principia 
1644 und der Passiones 1650. 

Wenn nun auch die genauere Prüfung und kritifche 
Sichtung des hiftorifih gehobenen Materiales einen breiten 
Raum in unlerer Daritellung einnehmen wird, lo wird 
doch der eventuelle Nachweis einer Wandlung in D.' Lehren 
während der legten dreigig Jahre feines Lebens in gewiffer 
Hinfleht den leitenden höheren Gefichtspunkt für unfere 
Unterfuchung bilden. Wir werden zu dielem Zwecke die 
entfiheidenden Briefftellen unter einander und mit dea 
entfprechenden Darftellungen in D.' Hauptfihriften kritifih 
zu vergleichen und feftzuf teilen haben, ob die Erweite- 
rungen und Konzeffionen, wozu D. durch die Oppofition 
feiner Korrefpondenten gedrängt wurde, ihm äußerlich 
aufoktroyiert, oder aus feinem Syftem organißh er- 
wachten, leinem Charakter konform find. Auf diefem Wege 
ift auch Hoffnung vorhanden, dag eine magvolle Kritik 
die vielen Unklarheiten und Widerfprüche, die einzelne 
Spezialfihriften in D. konftatieren bezw. konftruieren, in- 
dem fie gewiffe Stellen aus den verfchiedenften Zeiten 
nebeneinander halten, befeitigt werden. Freilich fo grog 
wie bei manchem modernen Philofophen werden wir uns 
diele Entwicklung von vorn herein nicht zu denken haben. 
Denn D. war, um ein Wort Schneiders (6) zu ge- 
brauchen, ein reifer Mann, ehe er eine Zeile für die 
Öffentlichkeit fchrieb. Als Huygens ihn drängte, den 
Monde herauszugeben, lehnt D. ab mit der Begründung, 
man muffe die Früchte an den Bäumen reifen laffen 
(II, 552), und er konnte fich freuen, als er fah, dag felbft 
die ftärkften Einwände, die man ihm machte, nicht dea 
fchwächften gleichkamen, die er fich felbft vor der Ver- 
öffentlichung feiner Werke gemacht hatte (I, 449). Aber 
immerhin ift die Meinung nicht abzulehnen, dag während 



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- 14 — 

des grogen Zeitraumes, den der Briefwechfel füllt, feine 
Anfchauungen fidi mannigfach verfdioben haben können 
und dag manche Lehre D.' erft durch die Einwürfe feiner 
Gegner fidi zur vollen Klarheit entwickelt hat. Hierbei 
gilt es dann befonders die Motive und Einflüffe aufzu- 
decken, die D. zu einer Änderung veranlagten, und die 
Berührungspunkte mit früheren und zeitgenöififchen Philo- 
fophen im Auge zu behalten. Denn um eines vorweg 
zu nehmen, fo belehren uns gerade die Briefe, dag D. 
der Scholaftik manches Problem verdankt und dag fie 
mindeftens infofern, als fie feinem kritifdien Geifte Stoff 
zur Polemik bot und fo feinem Denken eine andere Rich- 
tung gab, hin und wieder auch politiv ihren Anteil an der 
Entltehung von D.' im ganzen originalen Syftem gehabt 
hat (vergl. Lewkowife 79). Den im Streite der Geifter 
fortfdireitenden logifdien Zufammenhang aufzudecken, ihn, 
wenn auch nicht immer in konftruierten Kategorien, io 
doch in der lebendigen gegenleitigen Einwirkung der 
Korrelpondenten erlichtlich zu machen, wird eine unterer 
vornehmlten Aufgaben fein. 

Einem Hauptgebote der modernen Philologie und 
kritifdien Gefdiichtsforfihung wird es fernerhin entlpre- 
<hen, wenn wir die D.fihen Briefe nicht in das fremde 
Licht einer fpäteren Denkweile rücken, fondern fie ganz 
aus lieh und ihrer Zeit heraus zu begreifen fudien. Hat 
doch D. felbft des öfteren feine Schüler fogar aufgefor- 
dert, ihm niemals eine Meinung zuzufthreiben, wenn iie 
fidi nicht ausdrücklich in feinen Werken fände (V, 624). 
Natorps geiltreiche Unterfuchungen in Ehren; aber die 
Daritellungen Calfierers, Rofes, Leders u. a, zeigen 
uns einen D. ä la Kant frifiert. Auf Grund mehrjährigen 
Quellenftudiums fchliege ich mich voll und ganz den 
v. Hertlingfihen Ausführungen an, die mir erft nach- 
träglich zu Gelicht gekommen find (380): „Mag auch eine 
rückwärts blickende Gefdiiditsbetrachtung in der D.fdien 



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— 15 — 

Philofophie bereits die Keime finden, deren weitere Ent- 
wicklung nicht nur zur Befeitigung der ariftotalifth-fchola- 
ftifihen Philofophie, fondern der ganzen bisherigen Weife 
des Philofophierens überhaupt hinführte, dag D. felbft 
fleh diefer Konfequenzen bewußt gewefen wäre, ift nidit 
anzunehmen. D. dachte nicht daran, aus der getarnten 
-bisherigen Welt- und Lebensanfdiauung herauszutreten 
und dem wiffenfdiaftlidien Leben ein völlig verändertes 
Ziel zu ftecken, fondern er vermeinte nur mit Hilfe feiner 
Vorausfegungen und feiner Methode diefelben Probleme, 
die fthon immer, wenn auch ohne Erfolg die Forfcher be- 
fchäftigt hatten, einer abfdiliegenden Löfung entgegenzu- 
führen. Er wollte ein Reformator der Philofophie fein, 
der Gedanke an eine Revolution, wie fle fpäter Kant 
durch die Umkehrung des Verhältniffes von Subjekt und 
Objekt proklamierte, lag ihm fern." Und Scheel (Sp.667) 
äußert fleh ähnlich: „Es als bewiefen vorauszufegen, dag 
D.' Philofophie getragen fei von der Grundtendenz des 
Kritizismus, mug ich doch für recht bedenklich halten. 
Bisher ift wenigftens das Recht einer prinzipiellen Deu- 
tung der Philofophie D.' im Sinne des Kritizismus m. E. 
nicht bewiefen." Desgleichen nimmt Keuffen (16 f.) in 
fdiarfer Weife gegen Natorps „gewaltfamen" Verfuch 
Stellung, die Kantßhe reine Apperception der auf die 
Tatfächlichkeit des Denkens gegründeten Gewigheit der 
eigenen Exiftenz bei D. zu Grunde zu legen und Kant- 
fche Vorausfegungen in D.' Gedankenfolge hineinzutragen. 
Im Einklang mit v. Hertling betont er (54) bei aller Her- 
vorhebung des Gegenfages zu Ariftoteles: „Aber im 
Wichtigften wollte und konnte D, fich nicht den Denkge- 
wohnheiten von Jahrhunderten und dem Vorbilde des 
griechifchen Denkers entziehen." Maggebend für den Ver- 
faffer war alfo die Richtfdinur, die v. Hertling (381) 
gezogen: „Auch für die nachträgliche Konftruktion des 
Zufammenhanges, welcher fldi auf den Inhalt der carte- 



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— 16 — 

flanifdien Philofophie und einzelne feiner Lehrausfprüche 
ftüfet, ift die Stellung nidit gleichgültig, die der erfte Begründer 
der neueren Philofophie zu der alten Sdiule felbft und 
mit Bewußtfein eingenommen hiat. a „Nidit was man in 
eine Lehre hineinlegen kann," fagt audi Sdi neider (44), 
„fondern was klar und unzweideutig in ihr formuliert ilt, 
gehört ihrem Schöpfer, und deshalb werden wir D. weder 
zum Kritiziften noch zum Scholaftiker machen, fondern ihm 
feine gefdiichtlidie Stellung als eines originalen Denkers 
belaffen." Dag die hiftorifihe Philofophie bei der Dar- 
fteilung eines Syftems, welches, nachdem es aufgehört hat 
durch feine Refultate zu herrfihen, noch immer (nadi 
K. Fifdier) durdi feine Probleme herrfiht, audi die 
Beziehungen der D.fihen Philofophie zu den Proble- 
men des Tages aufzudecken hat, glaubte Verfaffer eben- 
falls berückfiditigen zu muffen, um die „aufgeftapelten 
Altertümer" nach beften Kräften auch für die Gegenwart 
als fruchtbringend zu erweifen. 

Nodi eine lefete Klippe ift nadi der hiftorifihen Er- 
hebung und quellenmäßigen Sammlung des Materials zu 
vermeiden, wenn es gilt, die D.fihen Gedankenblöcke zu 
einem einheitlichen Gebäude zu vereinigen, nämlich die 
einer zu allgemeinen und rhetorifihen Darftellung, worin 
fich allzuleicht fubjektive Elemente einfihleichen. Sind 
doch, wie ein Autor meint, die im Dienfte der Syftematik 
unternommenen philofophiegefihichtlidien Darftellungen in 
der Regel dringend verdächtig, mehr ein Bekenntnis des 
Zufammenftellers, denn eine objektive Durchdringung des 
hiftorifihen Stoffes zu bieten. Diefe Schwierigkeit wird da- 
durch vermehrt, dag das D.fihe Syftem aus einem Geift be- 
ftehtund dag es, wie Schneider (62) hervorhebt, bei D. 
fihwer ift, den zwingenden Bau feiner Logik und Dar- 
ftellung zu durchbrechen, das Syftem in Stücke zu teilen 
und diefe anders anzufehen, als er fie anfah und ange- 
fehen wiffen wollte. „In allem, was ich gefihrieben 



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— 17 — 

habe", — lagt D. III, 266 von den Meditationen, es'gilt aber 
auch von leinen Briefen — , „bin ich nicht der Ordnung 
der Materien, fondern nur der der Gründe gefolgt, d. h. ich 
unternehme es nicht, an ein und derfelben Stelle alles zu 
lagen, was einer Materie eignet; denn es würde mir un- 
möglich fein, es dort zu beweifen, da ich dort Gründe 
habe, von denen die einen viel fpäter angezogen werden 
muffen als die anderen. Aber indem ich ordnungs- 
gemäß a facilioribus ad difficiliora fortfihreite, führe ich 
bald für die eine, bald für die andere Materie davon aus, 
was in meiner Macht fteht. Dies ift m. E. der wahre 
Weg, die Wahrheit zu finden und zu erklären. Die Ord- 
nung nach Materien hingegen empfiehlt fich nur für die- 
jenigen, deren fämtliche Gründe gefondert find und die 
ebenfo von der einen wie von der anderen Schwierigkeit 
fprechen können. Ebenfo halte ich dafür, daß es weder 
gelegen, noch fogar möglich ift, in meine Meditationen die 
Antwort auf die etwa erfolgenden Einwände einzufügen; 
denn dief es würde ihren ganzen Zuf ammenhang zerreißen und 
fogar die Stärke meiner Gründe aufheben." Dieser gleich- 
fam lebendige Organismus und nicht künftlich aufgefihichtete 
Bau des D.fihen Syltems macht es ftreng genommen un- 
möglich, es in fcharf gefonderten Abfchnitten zu befprechen, 
ohne fich Wiederholungen auszulesen, da jede noch fo 
lorgfältige Trennung im Grunde eine willkürliche und 
äußerliche ift, und eventuell ganze Gedankenreihen zum 
Teil ineinander übergehen und fich wiederholen müifen» 
Dennoth konnte bei möglichfter Beobachtung der hifto- 
rifchen Reihenfolge auf fyftematifche Form nicht ganz 
verzichtet werden, wie denn anderseits Verfaffer auch die 
Beobachtung Chriftianfens (6) machen konnte: „Es 
fügt fich, wenn man das Material gefammelt hat, ein Teil 
fo paffend und genau dem andern an, wie die Scherben 
einer Vafe, fo daß von diefer Affinität wohl mit ziem- 
licher Sicherheit auf den wirklichen Zufammenhang, den 

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- 18 — 

diele Ideen in dem lebendigen Denkprozeß des Philo- 
fophen gehabt haben, gefdüoffen werden darf." Ob es 
gelungen ift, das in unendlicher Zerfplitterung vorgefun- 
dene Material zum wahrheitsgetreuen Bilde feiner urtprüng- 
lichen Verknüpfung zufammenfdiließen , weiß Verfaffer 
nicht; jedenfalls war fein leitendes Motiv, der Forderung 
Loewes (240) zu genügen, keine betreibende Erzäh- 
lung des Inhaltes zu geben, fondern fidi der inneren 
Gliederung, der bewegenden Kraft und der prinzipiellen 
Wurzelgedanken des Syftemes zu bemäditigen, um das 
Syftem aus diefen gewiftermaßen vor unteren Augen 
neuerdings erftehen und Geftalt und Leben gewinnen zu 
laffen. 

Das wären fo die Geöditspunkte, die dem Verfaffer 
bei Abfaffung vorliegender Arbeit vorgefchwebt haben. 
Wenn er nun noch begründen foll, weshalb er fidi gerade 
diefes Thema zum Vorwurf genommen hat, fo muß er 
erklären: vornehmlich die Stellungnahme D.' zur Frage der 
Erklärung der tierißhen iLebensphänomene fihien ihm fo 
recht geeignet zu fein, die Probe aufs Exempel zu machen 
und die einleitend dargelegten Grundfäße an einem zwar 
kleinen, aber deshalb nicht minder wichtigen Stücke des 
Syftemes zur anfdiaulichen Darfteilung zubringen. Außer- 
dem mangelt es bisher an einer fyftematifdien Zufammen- 
ftellung der auch für die anthropologifdie Pfydiologie des 
D. fo wichtigen in untere Frage einfdilägigen Materiales 
aus feinen Briefen. Eine möglidift genaue und vollftän- 
dige Syftematik feiner Lehre in diefem Punkte erfcheint 
endlich um fo dankbarer, als nur eines feiner Hauptwerke 
untere Frage eben anfdineidet und die vielen Wider- 
fprüche, die einzelne Spezialfdiriften gelegentlich in der 
Auffaffung unterer Frage bei D. feftftellen zu dürfen 
glauben, zu dem Verfuch geradezu reizen, dunkle Punkte 
aufzuhellen und die Anflehten D.' in ihrer Reinheit und 
Urfprünglichkeit von einem höheren Gefichtspunkte aus 



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- 19 — 

zu einer widerfprudislolen Einheit zufammenzufaffen. Dag 
hierbei das Räderwerk der berüchtigten „kartefianifihen 
Tiermafchine" z. T. in anderer Weife funktioniert und 
zufammengefefet ift, als die Tradition es annimmt, hat fleh 

— nicht zur geringften Überrafchung des Verfaffers felbft 

— gegen Ende herausgeftellt. Möge diefer Umftand die 
Kenner D.' nidit abhalten, in eine wohlwollende Prüfung 
der Erftlingsarbeit des Verfaffers einzutreten, und den 
vorgetragenen Anflditen, falls es ihnen möglich ift, ihre 
Zuftimmung zu erteilen. Sollte aber die Kritik zu dem 
Urteil kommen, dag Verf. operam et oleum verfdiwendet 
hat, fo wird er dennoch die Stunden, die er zu den 
Fügen des Weltv/eifen flfeend verbrachte, zu den edelften 
ieines Lebens zählen. 

Gefeke i. W., am Todestage Descartes' 1906. 

D. V. 



IL Descartes' Stellung von 1630 bis zum 

Winter 1645(46. 

1. Wesensunterschied zwischen Mensch und Tier und 

die mechanistische Erklärung des tierischen Lebens 

im allgemeinen (1630-37). 

Die erfte briefliche Äußerung D.' über die Tierfeele 
findet fleh I, 153 f. unter dem 27. Mai 1630 an Mer- 
ie n n e; doch flehen Datum und Adreffat nicht feft. D. beant- 
wortet die fcholaftifdie Frage, welches die Vollendung der ver- 
nunftlofen Tiere wäre und was aus ihren Seelen nach dem 
Tode würde, dahin, dag, wenn auch Gott ganz in feiner 
Vollkommenheit bliebe, d. h. ganz collective, lo doch nicht 
jedes Ding im einzelnen: Denn gerade der Umftand, dag 
die Einzeldinge untergingen und andere an ihre Stelle 
träten, fei eine der Hauptvollkommenheiten des Univer- 



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- 20 — 

lums. Betreff der Zukunft ihrer Seelen und der der anderem 
Formen und Qualitäten folle er fleh nicht den Kopf zer- 
brechen; er hoffe es in feiner in Angriff genommenen 
Abhandlung allen verftändlidi zu machen. — In der Gleich- 
ftellung der Tierfeelen mit „den anderen Formen und 
Qualitäten" ift bereits die Mechaniflerung der tierifdien 
Lebenserfiheinungen und in der Ablprechung der Fort- 
exiftenz des einzelnen Tieres der fundamentale Unterfchied 
zwifchen Menfihen- und Tierfeele angedeutet. 

1637 erfdiien der Discours. Die im 5. Teile enthal- 
tenen Darlegungen bilden die Balis aller fpäteren Er- 
örterungen unterer Frage. D. fupponiert (VI, 45 f.), Gott 
bilde einen Körper, der in der äußeren Geftalt feiner 
Glieder und in der inneren Übereinftimmung feiner Or- 
gane unterem Körper ähnlich fei, sans le composer d'autre- 
matiere que de celle que j'auois descrite, & sans mettre 
en luy, au commencement, aneune ame raisonnable, ny 
aueune autre chose pour y servir d'ame vegetante ou 
sensitiue, sinon qu'il excitast en son coeür un de ces 
feux sans lumiere, que j'auois desia expliquez, & que je 
ne conceuois point d'autre nature que celuy qui echaufe 
le foin. Er prüft die Funktionen diefes Körpers und 
findet, dag es genau die find, welche die Tiere auf- 
weifen oder wir felbft, „wenn wir nicht daran denken". 

Die Tierleiber, lefet er fernerhin VI, 55—59 auseinan- 
der, könnten als Automaten oder Mafihinen betrachtet 
werden, die, weil aus Gottes Hand hervorgegangen, na- 
türlich unvergleichlich vollkommener leien, als die von 
Menfihen verfertigten. Gäbe es folche Tiermafihinen, fo 
gäbe es nur zwei Mittel, fle von wahren Menfihen zu 
unterfcheiden: 1. würden fle nur zufällig durch Worte 
oder Zeichen auf Befragen richtig antworten, und 2. wür- 
den ihre Bewegungen, möchten fle oft auch ficherer und 
regelmäßiger als die der weifeften Menfihen fein, nicht 
für alle Wechfelfälle des Lebens paffen; denn die parti- 



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— 21 — 

iuläre Dispofition der Organe könne niemals das Univer- 
falinftrument der Vernunft eriefeen. Insbefondere be- 
werte der Mangel einer Sprache im eigentlichen Sinne den 
.gänzlichen Mangel der Vernunft und damit die gänzliche 
Verfdiiedenheit der Menfihen- und Tierleele. Alio fei es 
die Natur, die in den Tieren gemäß der Dispofition ihrer 
Organe wirke, wie auch eine Uhr die Stunden genauer 
angeben könne, als wir mit aller unferer Klugheit. 

2. Das tierische Empfinden (1637). 

Diele mechaniftifihe Erklärung des Seelenlebens im 
Tiere rief fofort Fromondus auf den Kampfplafe (Fro- 
mondus ä Plempius, 13. September 1637, 1, 4Q3). D. fiheine 
zu behaupten, dag Wärme, wie die des erwärmten Heues, 
-alle Tätigkeiten eines Tieres im menfihlichen Körper be- 
wirken könne, mit Ausnahme der der vernünftigen Seele 
eigentümlichen Handlungen. Alio könne die Hifee des 
Heues, ohne eine andere fenfitive Seele, lehen, hören etc. 
So edle Handlungen fchienen nicht aus fo unedler und 
vernunftlofer Urfache hervorgehen zu können. 

D. erwidert (I, 413), Fr. unterfchiebe ihm die Anficht, 
die Tiere Iahen genau lo (plane) wie wir, d. h. mit der 
Empfindung oder dem Bewugtfein ihres Sehens (sen- 
tiendo sive cogitando se videre), eine Meinung, die 
Epikur gehabt haben folle und die auch jefet noch all- 
gemein verbreitet fei. „Ich zeige jedoch," fährt er fort, 
„in jenem ganzen Abfdinitte ausdrücklich genug, dag ich 
glaube, die Tiere fähen nicht wie wir, da wir ja unleres 
Sehens uns bewugt werden (dum sentimus nos videre), 
tondern nur wie wir, „dum mente alio auocata, licet 
obiectorum externorum imagines in retinis oculorum 
nostrorum pingantur, et forte etiamillarum impressiones 
in nervis opticis factae ad diversos motus membra nostra 
determinent, nihil tarnen prorsus eorum sentimus; 
«quo casu etiam nos non aliter mouemur, quam automata, 



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— 22 — 

ad quorum motus ciendos nemo dixerit vim caloris non 
sufficere." 

Es könnte zweifelhaft erfiheinen, ob hier D. unter 
sentire wirklich das bewußte Empfinden verfteht, zumal 
die Auffaffungen der Empfindungslehre D/ weit aus- 
einandergehen. So fagt Schwarfe die Empfindungen D/ 
nur als anthropologifihe Vorgänge, Faldcenberg(S. 87) 
und vielleicht auch Windelband (S. 326/7, doch flehe 
S. 188/9 u. 193) fie nur als Modifikationen der res cogitans, 
eine Anfleht, der jüngft Chriftianfen (26) und Jorges 
(49) beigetreten find, während Koch (124) und Rofe(25) 
nach dem Vorgange K. Fi Ich er s D. fchwanken laffen, 
indem diefer in der erften Hälfte der Meditationen die 
Empfindungen als rein pfychifihe, in der zweiten Hälfte 
(Med. 4—6) als anthropologifche und endlich in Les Pas- 
sions de 1'äme und de homine fie als rein mechanifche 
Vorgänge der res extensa aufgefaßt habe. Ohne an die- 
ler Stelle uns für eine der vorgetragenen Anflehten feft- 
zulegen, damit es nicht den Anfihein gewinnen kann, als 
hätten wir unfere vorgefaßte Meinung in diefen Abfihnitt 
hineingetragen, glauben wir uns auf Grund der Wörtdien 
tantum und plane dahin äugern zu dürfen, dag D. zwi- 
fchen sentire im weiteren und engeren Sinne unterfihieden 
habe. Das sentire im weiteren Sinne erläutert er zum 
erften Male durch den Zufag sive cogitare, der in den 
zwei folgenden sentire ebenfalls implicite enthalten ift. 
Wie durch die Klimax (etiam, prorsus) angedeutet ift, um- 
fagt das sentire im weiteren Sinne drei Stufen: 1. den 
durch die Augenkörper veranlagten Bewegungsvorgang 
und feine Umfefeung im Sehapparat, 2. den phyflologifchen 
Vorgang in den centripetalen Nerven und im Gehirn und 
endlich 3. den pfychifihen Vorgang, der die beiden vor- 
hergehenden in die höhere Sphäre des cogitare erhebt. 
Die beiden erften Elemente konftituieren die Empfindung 
im engeren Sinne und diefe ift es, die im Menfdien die 



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— 23 — 

mechanißhen Reflexbewegungen auslöft und allein den 
Tieren zugefihrieben werden kann. Nur die Empfin- 
dungen im weiteren und eigentlidien Sinne — sentire 
sive cogitare — vermag die motus spontaneos zu er- 
zeugen als charakteriftiche Äugerungen eines geiftigen 
höheren Prinzips, als es die dispositio organorum ift. 
Zur Stütje unierer Erläuterung möchten wir heranziehen 
die 6 Monate zurückliegende Äuß_erung D.' (I, 366): vou- 
loir, entendre, imaginer sentir etc ne sont que des diver- 
ses fagons de penser, qui apartiennent toutes ä Tarne (sc. 
de l'homme) und die weitere, 6 Monate Ipäter erfolgende 
(II, 36), wo er le mot de pensee fagt als toutes les 
Operations de Tarne, en sorte que non seulement les me- 
ditations et les volontez, mais mesme les fonctions de 
voir, d'ouir, de se determiner ä un mouuement plustost 
qu'ä un autre etc, en tant qiu'elles dependent 
d'elle, sont des pensees. 1 ) 



*) Wie bitter sich die Nichtbeachtung des D.schen Unterschie- 
des der Empfindung im weiteren und engeren Sinne rächt, zeigen 
die geradezu komischen Ausführungen Barks (63 f.). Nach ihm 
fasst D. die Empfindungen auf drei verschiedene Arten auf: 

1. sie sind reine Vorstellungen, die allein dem Geist ange- 
hören. Danach müssen also auch die Tiere eine Seele haben und 
der Wesensunterschied zwischen Mensch und Körper fällt in sich 
zusammen. 

2. die Empfindungen sind konfuse Gedanken, . . . daraus folgt 
entweder, das Tier hat keine Empfindungen, — dieses widerstreitet 
nicht nur der allgemeinen Erfahrung, sondern auch den direkten 
Angaben D/ — oder das Tier hat Empfindungen. Somit müssen 
beide Substanzen, Leib und Seele, in ihm vorhanden sein. Also auch 
hiernach hat das Tier eine Seele . . . 

3. die Empfindungen sind körperliche rein mechanische Vor- 
gänge. Der lebendige Körper ist also vollständig unempfindlich. 

„Kurzum", schliesst Bark (64) voll köstlicher Resignation, „die 
Empfindungen sind nach D.' Lehre unerklärlich!" 



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— 24 — 

3. Die erste Auseinandersetzung mit der 
Scholastik (1637). 

Noch einen zweiten Einwand erhob Promondus 
vom Standpunkt der fcholaftichen Erkenntnistheorie aus: 
D. behaupte, es würde, wenn ein Automat die inneren 
Organe und die äußere Geftalt eines Tieres hätte, nicht 
der geringfte Unterfdiied (non ullum discerniculum) 
zwifchen einem wirklichen Tiere und einer foldien Ma- 
fchine lein. Welchen Zweck habe dann aber die An- 
nahme von fubftantiellen Seelen in den Tieren, wenn die 
Hitje des Heues für alle Handlungen der inneren und 
äußeren Sinne und des finnlichen Strebevermögens ge- 
nüge? Seine Behauptung könne vielleicht fogar den 
Atheiften den Weg ebnen, daß fie auch die Handlungen 
der vernünftigen Seele einer ähnlichen Urfache zufchrieben 
und fie vom menfchlichen Körper ausfchlöflen oder doch 
wenigftens eine materielle Seele an Stelle der immate- 
riellen uns beilegten. 

D* verwahrt fleh in feiner Antwort zunächft auf das 
entfehiedenfte dagegen, daß feine Auffaffung der Tierfeele 
zu atheiftifihen Konfequenzen führe. Indem er feinem 
Gegner auf das theologifche Gebiet folgt, zeigt er, daß 
feine Lehre fleh auf das engfte an die der Bibel anfchließt, 
wonach die Tierfeele nichts anders als das Blut der Tiere 
fei. Der Unterfihied, den e r zwifchen Menfchen- und Tier- 
feelen fefee, fei fo groß, daß feines Wiffens bis jefet kein 
kräftigerer Beweis zur Widerlegung der Atheiften er- 
dacht fei. Und nun dreht D. den Spieß um und hält 
feinem Gegner Lev. 17, 14 und Deut. 12, 23 unter die 
Augen und überläßt es ihm, feine Lehre mit diefen 
Schriftftellen in Einklang zu bringen. Der zweite Teil der 
Antwort D. bewegt fleh auf philofophifchem Gebiete und 
enthält eine intereffante Kritik der Erkenntnistheorie der 



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— 25 — 

Schule, gegen die er einen doppelten Vorwurf erhebt: 
1. fle verwifihe die Grenzen zwifdien der Menfchen- und Tier- 
leele, 2. fle flehe mit fleh felbft im Widerfprudi. Ange- 
flchts des Umftandes, dag wir hier die erfte Stelle vor uns 
haben, worin D* fldi direkt mit der bisherigen fcholafti- 
fdien Auffatfung unleres Problems auseinanderlebt, möchten 
wir die clausula concernens wörtlich anführen. „Des 
ferneren fehe ich auch nicht ein, nachdem fle (die An- 
hänger der fiholaftifchen Schule) einen lo geringen Unter- 
fihied zwifihen tierifchen und menfchlichen Handlungen 
gefegt haben, wie fle fleh von einem fo großen Unter- 
fdiiede zwifdien den Naturen der rationalen und fenfi- 
tiven Seele überzeugen können; foll doch die fenfltive 
Seele, wenn fle allein ift, körperlicher und fterblicher Na- 
tur, wenn fle aber mit der rationalen vereinigt ift, 
geiftiger und unfterblicher fein. Worin, glauben jene, 
unterfcheidet fleh denn sensus und ratio? Doch darin, 
dag das Erkennen des niederen Erkenntnisvermögens 
apprehenflv und einfach, und deshalb keinem Irrtum unter- 
worfen ift, hingegen das Erkennen des höheren Erkennt- 
nisvermögens ein wenig mehr zufammengefefet ift und 
durch die Irrgänge der Syllogismen fleh bewegen kann- 
Dies kann jedoch auf keine Weile leine höhere Vollkom- 
menheit herbeiführen, zumal da jene auch behaupten, die 
Erkenntnisweifen Gottes und der Engel feien auch höchft 
einfach und intuitiv oder nur apprehenflv, mit keiner 
fprachlichen Hülle verbunden, und das in einem Maße, dag 
nach jenen — Gott lag es mich ohne Sünde fagen — 
das Erkenntnisvermögen der Tiere näher an das Er- 
kennen Gottes und der Engel herankommt als der menfdr 
liche Vernunftfehlug." 

Wir kenneu die Gründe nidit, die Fromondus 
veranlagten, die Kontroverfe abzubrechen, nachdem 
fle kaum einen Anfang genommen ; das ift jedoch 
fleher, Fromondus fihwieg und D. fühlte fleh als 



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— 26 — 

Sieger 1 ). Das erfahre» wir gelegentlich, als Merlenne 
D. auf Deut. 12, 23 als Stüfee feiner Lehre aufmerkfam 
macht. D. antwortet am 11. Juni 1640 (III, 86): „Seit 
langer Zeit habe ich jene Stelle gewußt und fie in meiner 
Antwort auf die Einwurf e des Fromondus zitiert, indem 
ich ihn drängte, eine Erklärung diefer Worte durch die 
gewöhnliche Philofophie zu geben, aber &t hat überhaupt 
nicht geantwortet." 

4. Die tierischen Affekte und Leidenschaften (1638). 

Ein Unbekannter, der fleh durch die Abfertigung 
Froidmonts nicht abfihrecken lieg (I, 515, Z. 25), 
wandte Febr. 38 (I, 514) ein, die Erfahrung beweif e, daß 
die Tiere ihre Affekte und Leidenfihaften in ihrer Art 
von Sprache kundtäten und dag fie ihren Zorn, ihre 
Furcht, ihren Schmerz, ihr Bedauern, fchlecht gehandelt zu 
haben, durch verschiedene Zeichen an den Tag legten. 
Man brauche fleh nicht bei der Wahrheit gewiffer Tier- 
anekdoten aufzuhalten; aber es fei augenfiheinlich, dag 
die Tiere ihre Handlungen aus einem hervorragenderen 
Prinzip festen, als aus der Notwendigkeit, die aus der 
Anlage ihrer Organe hervorgehe, nämlich durch den In- 
ftinkt, der fidi niemals in einer Mafchine oder in einer 



*) Monchamp (6o) ist mit dieser Kontroverse sehr unzu- 
frieden : es wäre besser geweser, wenn D. gleich von vornherein 
klar gesagt hätte, was er beweisen wolle, aber er scheine manchmal 
im Vertrauen auf die keineswegs bewiesenen Prinzipien davon- 
zustürmen. Wir vermögen dieser Ansicht nicht völlig beizutreten. 
Wenn auch zugegeben werden muss, dass die in Form einer Wieder- 
gabe des Inhaltes des Monde gehaltenen Ausführungen des Discours 
in ihrer skizzen- und lückenhaften Darstellung nach D.' eigenem Ge- 
ständnis (I, 370) nicht als voll bewiesene Prinzipien gelten können, 
so kann doch von einem Davonstürmen in unserem Briefwechsel 
keine Rede sein angesichts der Tatsache, dass D. sich streng an die 
Einwürfe seines Gegners hält und ohne unnötige Abschweifung 
vom Thema Schlag mit Schlag pariert. 



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— 27 — 

Uhr fände, die keine Leidenfdiaften und keine Affekte 
belügen, wie fle die Tiere hätten. 

Die Ähnlichkeit der tierifchen mit den menfthlidien 
Handlungen, erwidert D. März 1638 (II, 39), habe uns 
von Jugend auf zur Annahme eines inneren Prinzipes 
veranlagt, einer Seele, ähnlich der unteren, mit un- 
teren Empfindungen und Leidenfdiaften. Um dies tief 
eingewurzelte Vorurteil zu entfernen, muffe man das Ur- 
teil eines Menfihen betrachten, der, ohne jemals ein 
lebendes Wefen gefehen zu haben, als hödift gefdridrter 
Mechaniker Tier- und Menfchenautomaten angefertigt 
hätte. Zu welch hoher Vollkommenheit er es in feiner 
Kunft aber auch gebracht haben möge, fähe er zum erften 
Male einen wirklichen lebenden Menfchen, er würde den 
Unterfchied zwifihen diefem und feinen hödift feingebauten 
Reflexmafdiinen immer durch die beiden im Discours er- 
wähnten Mittel f eftftellen können (f. o. S. 20), umfomehr, wenn 
er die Kenntnis Gottes hätte und in den wunderbaren Bau 
der Pflanzen einen Einblick gewonnen hätte 1 ). Unzweifel- 
haft würde unfer Mechaniker nicht zu dem Urteil kom- 
men, dag in den Tieren irgend eine wahre Empfindung, 
noch irgend eine wa[hre Leidenfdiaft, wie in uns, vor- 
handen fei, fondern nur, dag es Automaten feien, die, 
weil durch die Natur gebildet, unvergleichlich höher vollen- 
det wären, als die früher von ihm verfertigten. Die 
Ähnlichkeit der äugeren Handlungen bei Menfdien und 
Tieren berechtige mithin keineswegs zu dem Sdiluffe, dag 
es fleh mit den inneren Vorgängen ebenfo verhalte. — 
Beachtenswert erfiheint neben der rein negativen Ableh- 
nung einer „wahren Empfindung, einer wahren Leiden- 
fdiaft comme en nous" die Methode D.: er erkennt nur 



*) Spätere Äusserungen aus dem Jahre 1642, nämlich III, 504, 
Z. 3 und III, 566, Z. 1 ff. besagen explicite, dass Automat, Pflanze 
und Tier nur graduell, nicht essentiell verschieden seien. 



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— 28 - 

•den rein phyfiologifdien Standpunkt als berechtigt an und 
weigert fleh ausdrücklich, auf den naiven Standpunkt zu 
treten, que nous avons fait deslors que nous estions 
enfans. Indem er explicite die Berechtigung des Analogie- 
ühlufles (fondant seulement sur la ressemblance qui est 
entre quelques actions exterieures des animaux et les 
nostres, laqiielle n'est nullement süffisante pour prouuer, 
qu'ü y en ait aussi entre les interieures) wegen der 
vagen ins Uferlofe fleh ergießenden Konfequenzen ver- 
wirft und es ablehnt, auf den Boden der vergleichenden 
Psychologie zu treten, fchüttet er das Kind mit dem 
Bade aus. 

5. Die tierischen Strebungen und Einbildungen 
(1639/40). 

Dieter Briefwedilel mit einem Unbekannten ift der 
lefete, der durch den Discours hervorgerufen wurde. 
l 1 /* Jahre lang ruhen jetjt die Erörterungen unferes 
Problemes,. bis fle durch verfchiedene Anfragen Mer- 
fennes, die übrigens in keinem inneren Zulammenhange 
flehen, wieder in Flug kommen. Der fragmentarifthe 
Charakter dieler Stellen dürfte eine Abweichung von der 
ftreng hiftorifdien Reihenfolge geftatten, zumal lämtliche 
Äugerungen unlerer Gruppe an einen Adreffaten ge- 
richtet find und nur die Spanne eines Jahres (Oktober 39 
bis Oktober 40) umfaffen. Zunächft die viel umftrittene 
alinea 1 (II, 599) vom 16. Oktober 39: „Er (Martigny) 
will, dag man überhaupt dem natürlichen Inftinkte folgt, 
woraus er alle feine Allgemeinbegriffe zieht; ich meiner- 
leits unterftheide zwei Arten von Inftinkten. Der eine ift 
in uns, fofern wir Menßhen find, und diefer ift rein intel- 
lektuell: Diefer ift das natürliche Licht oder der intuitus 
mentis, dem allein nach meinem Dafürhalten man trauen 
darf. Der andere ift in uns, fofern wir lebende Wefen 
lind, und diefer ift ein gewiffer Antrieb der Natur zur 



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- 29 - 

Erhaltung unferes Körpers, zum Sinnengenuß ; der leib- 
lichen Lüfte etc., dem man nicht immer 1 ) folgen darf." 
Kombinieren wir hiermit III, 213 vom 28. Oktober 1640: 
„Ich billige durchaus nicht die natürlichen Neigungen, die 
er (Lacombe) ihnen (den Dingen) zulegt. Denn ich 
kann folche Inklinationen nur in einem Ding be- 
greifen, das Denken hat, und ich teile fie fogar 
den vernunftlofen Tieren nicht zu. Ich erkläre 
vielmehr alles, was wir in ihnen natürliche Stre- 
bungen oder Neigungen nennen, n u r durch die Regeln 
der Mechanik." Hiernach unterfdieidet D. drei Stufen im 
Strebevermögen: 1. Die auf dem materiellen Subftrat der 
dispositio organorum beruhenden und rein mechaniflh ver- 
laufenden und zu erklärenden leiblichen Strebezuftände 
der Tiere (appetitus naturales im uneigentlichen und 
engeren Sinne). 2. Die hiervon toto genere unterfchie- 
denen app. nat. im Menfihen, denen allein der Name app 4 
nat. im eigentlichen und weiteren Sinne gebührt. Sie find 
nur in uns en tant qu'animaux, d. h. infofern wir ein 
conjunctum von Körper und Geift bilden, und da D. fie 
„nur begreifen kann in einem Ding, das Denken hat," fo 
find fie ein geiftiges Gefdiehen im menfiiilich befeeltea 
Körper, der die äugere Veranlaffung dazu durch die sub 1 
genannten app. nat. im engeren Sinne gibt. 3. Die letzte 
Art der Strebungen ift die höchfte der beiden im Men- 
fihen fleh findenden. D. vergleicht fie mit dem lumen 
naturale oder dem intuitus mentis und fagt, fie fei in uns, en 
tant qu'hommes et est purement intellectuel, d. h. nach m. A. 
infofern wir eine res cogitans find, womit er augenfthein- 
lidi fagen will, dag die Seele diefe Art Strebung auch 
ohne ihre Verbindung mit dem Leibe haben würde. Es 
ift alfo, wie aus dem Gegenfatje zu 2, von D. felbft auf- 

*) Durch dieses „nicht immer 41 findet II, 37 seine Erklärung r. 
„nos appetits et nos passions nous dictent continuellement le 
contraire." 



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— 30 — 

geftellt, per negationem zu erfdiliegen ift, n i di t ein durch 
den Körper veranlagtes und durdi äuger e Kaufalität 
bedingtes Streben der Seele, londern es flammt aus 
der Seele felbft, ift freies Wollen = voluntas pura 1 ). 

Chriftianlen (41 f.) meint zu unterer Stelle: „Der 
andere Inftinkt ift rein geiftig und wird als lumiere natu- 
relle oder int. mentis befihrieben, offenbar ein hödift un- 
glücklicher Ausdrude, denn diefe beiden Ausdrücke be- 
zeichnen fonft bei D. theoretifche Vermögen bezw. Zuftände. 
Es kann damit nur gemeint fein eine urfprünglidie Ten- 
denz des Willens, dem, was durch das 1. n. oder i. m. 
erkannt ift, zuzuftimmen." Faßt man, wie wir es oben 
getan haben, die bradiylogifdie Wendung c'est la lumiere 
etc. in unterer von D. flüchtig hingeworfenen 
Notiz im Sinne von: er gleicht oder ift zu ver- 
gleichen mit dem 1. n*, fo verwandelt fleh der höchft 
unglückliche Ausdruck, in den Chriftianfens weit her- 
geholte Interpretation erft Sinn hineinbringen mug, in 
eine höchft naheliegende comparatio elegantissima, die fleh 
unter Berückfiehtigung des oben S. 22 über Empfindung Ge- 
fagten zu der fortlaufenden Proportion ausbauen läßt: 
1. sentire i. e. S. : 2. sentire i. w. S. : 3. pure intellegere 
= 4. appetere i. e. S. : 5. appetere i. w. S. : 6. pure 
velle, deren 1. und 4. Glied (als rein mechanifihe Vor- 
gänge) nur den Tieren eignen, während fämtliehe übrigen 
nur vom Menfihen ausgefagt werden können und als rein 
pfychifche Akte unter das D.fihe cogitare fallen, mit dem 
Unterschied, dag Glied 2 und 5 im conjunetum, 3 und 6 
nur in der res cogitans ihren Sig haben. 



3 ) Dass von Willens fr eiheit beim Tiere keine Rede sein kann, 
sagt D. ausdrücklich am 2. Mai 1644 (N, 117): „Pour les animaux 
sans raison, il est 6uident, qu'ils ne sont pas libres, ä cause qu'ils 
n'ont pas cette puissance positivede se determiner; mais c'est en eux 
une pure negation, de n'estre pas forcez ny contraints." 



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— 31 — 

Die Stelle III, 85, Z- 3-8, am 11. Juni 1640 an 
Merlenne gerichtet, iß an und für fldi lo klar und fügt 
fldi fo harmonifih in die bisher entwickelte Lehre D.' ein, 
dag wir es wagen dürfen, fle im hiftorifihen Lichte der 
vorftehenden Ergebniffe zu verwerten trog ihrer Varianten 
bei Clerle liier und des Fehlens der veranlaff enden An- 
frage: „Ich erkläre nicht ohne [sc. denkende] Seele die 
Empfindung des Schmerzes; denn nach meiner Lehre ift 
der Schmerz nur im [sc. reinen, bewußten] Denken; aber 
ich erkläre [sc. ohne denkende Seele] alle die äußeren 
Bewegungen, die in uns diefe Empfindung begleiten. 
Diefe allein [sc. von den Vorgängen im Menfchen] finden 
fleh in den Tieren, nicht aber [sc. findet fleh dort] der 
Schmerz im eigentlichen Sinne." Hiermit können wir fo- 
fort verbinden den Schlugpalfus eines Briefmanufkriptes 
an Gibieuf vom 19. Januar 1642 (II, 479): „Wir be- 
merken in den Tieren wohl Bewegungen, ähnlich denen, 
die aus unferen Einbildungen oder Empfindungen (imagi- 
nations ou sentimens) folgen, aber deshalb keine Einbil- 
dungen oder Empfindungen. Und im Gegenteil! Da diefe 
felben Bewegungen ohne Einbildung ebenlo entftehen 
können (sans imagination), lo haben wir Gründe, die be- 
werten, dag fle fo in ihnen gemacht werden, wie ich klar 
auseinanderzufegen hoffe, indem ich Stück für Stück den 
ganzen Aufbau ihrer Glieder und die Urfachen ihrer Be- 
wegungen befihreibe." Es möge die vorläufige Feftftellung 
genügen, dag D. auch hier von den menfdxlichen Le- 
benserfcheinungen ausgeht und nur menfehliche Stre- 
bungen, Einbildungen und Empfindungen dem Tiere abfpricht. 

6. Das tierische Gedächtnis (1640). 

Wir übergehen nun die beiden Stellen aus dem Briefe 
an Merfenne vom 30. Juli 1640, III, 121, Z. 10 und 122, 
Z. 8, weil fle lediglich das im Discours und gegen Froid- 
mont Gefagte wiederholen und wenden uns den Stellen 



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— 32 — 

zu, worin D. den Tieren das körperliche Gedächtnis zu- 
fchreibt Zunächft III, 20 vom 29. Januar 1640 an Mey- 
fonnier gerichtet: „Betreffs der Bilder, die im Gedächt- 
nis aufbewahrt werden, bilde ich mir nicht ein, dag fle 
etwas anderes feien, als die Falten, die in diefem Papier 
aufbewahrt werden, nachdem es einmal gefaltet ift; auch 
glaube ich, dag fle vornehmlich in der ganzen Hirnfubftanz 
aufgenommen werden, obwohl ich nicht leugne, dag fle 
ebenfo in irgend einer Art in diefer Eichel fein können^ 
vor allem bei denen, die einen ftumpffinnigen Geift haben. 
Denn die fehr guten und fcharfflnnigen Geifter muffen die 
Eichel ganz frei in fleh und fehr beweglich haben, wie wir 
ebenfo fehen, dag fle in den Menfchen kleiner ift als in 
den Tieren, ganz im Gegenfafe zu anderen Gehirnteilen. 
Ebenfo glaube ich, dag einige diefer Gedächtnisbilder in 
verfchiedenen andern Teilen des Körpers fein können, wie 
die Gefchicklichkeit eines Lautenfpielers nicht blog in fei- 
nem Kopfe, fondern teilweife ebenfo in den Muskeln 
feiner Hände ift etc." Klarer drückt er fleh am 1. April 
1640 (III, 47) an Merfenne aus: „Ich leugne durchaus 
nicht, dag die Bilder, die dem Gedächtnis dienen, teil- 
weife in der Eichel, conarium genannt, fein können, vor- 
nehmlich bei den unvernünftigen Tieren und denen, 
die einen rohen Geift haben. Denn die anderen würden, 
fcheint mir, nicht fo viel Leichtigkeit haben, als fle haben, 
fleh eine unbegrenzte Anzahl von Dingen vorzuftellen, die 
fle niemals gefehen haben, wenn ihre Seele nicht 
mit einem Teile ihres Gehirns verbunden 
wäre, der fehr geeignet wäre, allerhand neue Eindrücke, 
zu empfangen, und folglich höchft ungeeignet, fle aufzu- 
bewahren." Den Schlugftein zu feiner Lehre vom Ge- 
dächtnis der Tiere legt er am 6. Auguft 1640 (III, 143) in 
einem ebenfalls an Merfenne gerichteten Briefe: „Ich 
glaube nicht, dag die Gedächtnisfalten in fehr großer Zahl 
vorhanden fein muffen, um allen unteren Erinnerungen zu 



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— 33 — 

dienen, weil ein und diefelbe Falte fldi auf alle ähnlichen 
Dinge bezieht, und idi bin der Anfleht, dag auger diefem 
körperlichen Gedächtnis, deffen Eindrücke (impressions, D. 
felbft hat images getilgt) durch diele Gehirnfalten ver- 
deutlicht (= zum Bewugtfein gebracht) werden können 
(peuvent estre expliquees, Clerfellier hat re- 
presentees), es in unferem Geifte noch eine andere 
Art von Gedächtnis gibt, das gänzlich geiftig ift und 
fich nicht in den Tieren findet und deffen wir uns 
vorzüglich (principalement, Clerfellier lieft particuliere- 
ment) bedienen." 

Die Analyfe diefer drei auf das Gedächtnis der Tiere 
bezugnehmenden Stellen ergibt, dag D. ein dreifaches 
Gedächtnis unterßheidet : 1. Die memoire corporelle im 
engeren Sinne, d. h. den reinen durch die esprits 
animaux (f. III, 191) verurfachten phyfiologifihen Vorgang 
(f. o. III, 20) im Gehirn, conarium, in den Muskeln etc.; 
dag die formae sive species corporeae, quae esse debent 
in cerebro, ut quid imaginemur, non sunt cogitationes 
(III, 361), kann hier zur Veranfchaulichung herangezogen 
werden. Diefe Art des Gedächtniffes allein eignet den 
Tieren. D. antieipiert hier G. John Romane s' Anfchau- 
ungen (Die geift. Entw. i. Tierreiche, Leipzig 1885, S. 29): 
„Gedächtnis, phyfiologifdi genommen, bedeutet doch nur, 
dag eine nervöfe Entladung, welche einmal in einer ge- 
wiffen Richtung hin ftattgefunden, eine gewiffe mehr oder 
weniger bleibende molekulare Veränderung zurückgelaffen 
hat, fodag, wenn tpäter eine Entladung in derfelben Rich- 
tung erfolgt, fie fozufagen die Fugfpuren der früheren 
bereits vorfindet." III, 264 fagt er den Vorgang in der 
glandula pituitaria ausdrücklich als einen rein mechanifchen 
auf (il ne faut point conceuoir que cette Separation se 
fasse autrement que mechanice) und konftatiert das Gleiche 
vom conarium (et le sien office est de receuoir en 
meme fa<;on les esprits animaux). Auf diefer rein mate- 

3 



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1 



— 34 — 

riellen Baus baut fidi auf 2. die memoire corporelle im 
weiteren Sinne, die nur dort lein kann, wo eine menfch- 
lidie Seele mit dem Gehirn verbunden ift (f. o* S. 32), die die 
impressiones des erften Gedächtniffes, das die phyfiologifche 
Vorbedingung darfteilt, mit Bewußtfein üdi vorftellen 
kann. Die Aktualiöerung diefer Art des Gedächtniffes ift 
an das Vorhandenfein der impressiones geknüpft, es ift 
feiner Art nadi ein pfychifther Vorgang im conjunctum von 
Leib und Seele. Die Richtigkeit diefer Anficht ergibt fidi 
aus folgenden Stellen: III, 19: il fault de necessite que les 
especes . . . s'aillent unir en quelque partie du corps pour 
y estre considerees par Tarne. III, 48 nennt er es ab- 
hängig vom Körper, III, 84 abhängig von den Falten des 
Gehirns. III, 143 ift oben bereits gewürdigt. Den Unter- 
fchied vom körperlichen Gedächtnis im engeren Sinne lägt 
er fcharf hervortreten III, 361 : sed operatio mentis, siue 
ad istas species se conuertentis, est cogitatio. Mens, fo 
behauptet er ferner III, 424, a vestigiis in corpore im- 
pressis afficitur, und zwar ift das Gehirn nicht bloß im 
Wachen, fondern audi im Schlafe ad vestigia sibi im- 
pressa retinenda disponiert (III, 433), fo dag wir deshalb 
interdum etiam somniorum recordamur. Auch nach 1641 
lägt fidi unfere Auffaffung belegen: La memoire des 
dioses materielles depend des vestiges qui demeurent 
dans le cerueau , apres que quelque image y a este im- 
primee (IV, 114). Ferner V, 192, 219 und 222. 3. Neben 
diefem körperlichen Gedächtnis findet fidi im Menßhen 
noch (encore III, 143) die memoire spirituelle, die gänz- 
lich (tont a fait) geiftig ift und deren wir als vollent- 
wickelte Menfchen uns vornehmlich bedienen. III, 48 nennt 
fie D. tout intellectuelle, qui ne depend que de Tarne 
seule. La memoire intellectuelle, fagt er III, 84, a ses 
especes a part, qui ne dependent nullement de ces plis 
(sc. dans le cerveau). Sein Unterfchied vom körperlichen 
Gedächtnis kann nicht darin gefunden werden, wie Kodi 



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— 35 - 

<175 — 178 und 235) es will, dag das intellektuelle ein be- 
wußter Akt der Hinwendung zu einem Gehirnrefiduum, 
-das körperliche ein Beftimmtwerden der Seele durch die 
{jehirnfpuren fei; dag auch der erfte Vorgang ein Akt des 
körperlichen Gedächtniffes ift, beweift III, 425, wo nicht bloß 

1. ab obiectis externis in Organa sensuum agentibus oder 

2. a spiritibus animalibus a corde ad cerebrum ascenden- 
tibus Bewegungen der Lebensgeifter bewirkt werden, fon- 
dern auch noch 3. ab ipsa raente, cum scilicet ad aliquam 
^ogitationem a propria tantum libertate impellitur, ein 
vestigium im Gehirn bewirkt wird, ex quo recordatio 
dependet, und diele auf eine dreifache Art zuftande ge- 
kommene recordatio cum mens corpori unita de recor- 
porea cogitat, in einem fcharfen Gegenfaß zum gei- 
ftigen Gedächtnis geftellt wird: de rebus vero pure 
intellect ualibus nulla proprie recordatio est. Die 
Unrichtigkeit der KochTchen Auffaffung geht auch aus dem 
Beileidsfchreiben des D. an Huygens anläßlich des Todes 
feines Bruders hervor, wo er III, 580 in der Natur un- 
terer Seele eine Bürgfdiaft der Unfterblichkeit und des 
einftigen Wiederfindens erblickt, eines Wiederfehens meme 
auec la souuenance du passe; car je trouue en nous une 
memoire intellectuelle, qui est assurement indepen- 
«lante du corps. Doch erft 1644 (IV, 114) kommen 
feine fihon 1640 (III, 84) geäußerten Anfchauungen zur 
Klärung: „Das Gedächtnis der materiellen Dinge hängt 
von den Spuren ab, die im Gehirn bleiben, nachdem doit 
eine Art Bild eingeprägt ift; das der intellektuellen Dinge 
von gewiffen anderen Spuren, die in der Seele 
felbft bleiben. Aber diefe find von einer ganz 
anderen Art als jene und ich würde fie durch 
kein von körperlichen Dingen gezogenes Bei- 
fpiel erklären können, das nicht fehr verfchie- 
den wäre." Die knappfte und präzifefte Formulierung 
findet er 1648 (V, 192): „Ich nehme eine doppelte Ge- 



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— 36 - 

däditniskraft an; im Geilte eines Kindes find niemals reine* 
Gedanken (intellectiones purae), fondern nur verworrene 
Gefühle (confusae sensationes)" und erläutert fie V, 219: 
Um uns einer Sache zu erinnern, genügt es nicht, dag 
fie unterem Geilte vorher vorgefdiwebt hat und einige 
Gehirnfpuren zurückgelaffen hat, durch deren Veran- 
laffung fie nochmals in unterem Bewußtfein auf- 
taucht, fondern es ift noch obendrein erforderlich, dag, 
wenn fie zum zweiten Male aufflögt, wir erkennen, dag 
dies deshalb gefdiieht, weil fie vorher in unterem 
reinen Denken gewefen ift (a nobis fuerit per- 
c e p t a) . . . Daraus erhellt , dag zum Gedächtnis n i di t ge- 
nügen irgendwelche Spuren, die von den vorhergehenden 
Gedanken im Gehirn zurückgelaffen find, fondern we- 
nigftens folche von der Art, dag der Geilt erkennt, daß 
fie nicht immer in uns gewefen find, fondern einmal von» 
neuem hinzugekommen feien. Damit aber die Seele dies 
erkennen kann, halte ich dafür, dag fie, als fie zum erften 
Male eingedrückt wurden, eine reine Verftandstätig- 
keit hat anwenden muffen, darauf nämlich, dag fie be- 
merkte, die ihr damals vorßhwebende Sache fei neu 
oder habe ihr bis dahin nicht vorgefdiwebt ; denn keine 
körperliche Spur kann von jener Neuheit 
fein. Darauf vergleicht er, wozu er 4 Jahre vorher fleh 
augerftande erklärt hatte (f. v. S.), diefe geiftigen im- 
pressiones mit den von menfchlichen Fügen berührenden 
Unebenheiten eines Raumes, worin wir eine eigentlich 
eingedrückte Fugfpur nicht bemerkten, und die doch in 
einem anderen Sinne Fugfpuren genannt werden könnten. — 
Alle genannten Stellen, die fich über einen Zeitraum von 
8 Jahren (40 — 48) erftrecken, (teilen übereinftimmend das 
intellektuelle Gedächtnis als einen Modus des reinen 
cogitare hin, das ebenfo wie das pure intellegere und 
pure velle, in der anima allein, nicht im conjunctum radi- 
ziert und deffen Objekt die reinen Gedanken (intellectiones; 



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— 37 — 

purae) find und das nicht der materiellen impressiones in 
cerebro zu feiner Aktualifieruhg bedarf, dem vielmehr 
eigene pfychifche Refiduen, impressiones in anima ipsa, 
vindiciert werden. Sehr gut bemerkt Keugen (49), der 
dem intellektuellen Gedächtnis ebenfalls feine Aufmerk- 
famkeit gewidmet hat, zu den pfydiifdien Refiduen des D., 
die „im Bewugtfein Verharren" : „Der darin liegenden 
Konfequenz ift er nidit nachgegangen, dag es in der Seele 
unbewugt Pfychifdies gebe, und zwar ein unbewugt Pfy- 
diifthes, das durch untere Entwicklung erft erworben 
werde." Auf jeden Fall aber können wir fehen, wie nahe 
D. dem Begriffe geftanden hat, wenn wir es uns auch 
„jedenfalls nidit als ein verfchleiert Bewugtes vorftellen 
dürfen. Denn den Widerfinn unbewugter Empfindungen 
oder Vorftellungen hat D. ausdrücklich abgelehnt." (ibid.) 
Es erfdiien angezeigt, das Gedächtnis bei D. fo aus- 
führlich zu behandeln, einmal deshalb, weil feine Regeln 
wie feine dogmatifdien Hauptwerke es überhaupt nicht 
erwähnen, mithin feine Briefe geeignet find, gerade hier 
eine fühlbare Lücke auszufüllen; fodann weil die fekun- 
däre Litteratur mit Ausnahme von Koch und Boutroux 
die Frage nicht angefdinitten hat. Gegen Koch, dem 
übrigens, wie ausdrücklich konftatiert fei, noch nicht die 
neue Briefausgabe zur Verfügung ftand, haben wir fchon 
oben Stellung nehmen muffen. Aber auch bei Bou- 
troux flogen wir auf Migverftändniffe, die daraus zu er- 
klären find, dag ihm III, 424 und 580 (cf. 16 u. 17 Anm.) 
entgangen find und IV und V zur Zeit der Abfaffung 
feiner Arbeit noch nicht vorgelegen haben. Wenn Bou- 
troux (16) das körperliche Gedächtnis mit einem Buche 
vergleicht, worin alle einmal von uns percipierten Bilder 
eingetragen find und worin der Verftand frei lefen kann, 
das intellektuelle mit einem Magazin, worin diefe Begriffe 
sur le meme plan zu unterer Verfügung ftänden, fo treffen 
diele Vergleiche trog ihrer Anfchaulichkeit nicht den Kern- 



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- 38 — 

punkt der Frage. Zuftimmung erheifdit feine Bemerkung,, 
dag es lehr fdiwierig ift zu verftehen, wie D. fidi diefes 
int. Gedächtnis vorftellt; Wideriprudi die weitere: „Die- 
Briefftellen, worin es erwähnt wird, verhindern keines- 
wegs zu glauben, dag es in praxi ungenügend ift und 
mit dem körperlichen Gedächtnis verbunden werden 
mug"; fie mug dahin eingefchränkt* werden, dag die re- 
cordatio auf Grund des körperlichen Gedächtniffes hödiftens 
den Anlag bilden kann zur Betätigung des intellek- 
tuellen und mit ihm verbunden fein kann: nisi quod 
(sc. res pure intellectuales) soleant nominibus quibus- 
dam alligari, quae cum corporea sint, de ipsis etiam 
recordamur (III, 425); an der prinzipiellen Selbftändig- 
keit und Alleintätigkeit feines cogitare und mithin feines 
int. Gedächtniffes lägt D. von 1638 an (II, 38 ad 4) keinen 
Zweifel (cf. II, 580, III, 374, Z. 24 ff.). 

Als irreführend mug auch die Boutrouxfdie Dar- 
fteilung (S. 16 f.) bezeichnet werden, wie D. zur Aufftellung 
feiner Lehre vom körperlichen und intellektuellen Ge- 
dächtnis gelangt fei. „Er will erft das Gedächtnis in 
einem kleinen Teile des Hirnes lokalifieren; bei der Un- 
möglichkeit zu erklären, wie eine fehr groge Zahl von 
Bildern in einem fo engen Räume aufbewahrt werden,, 
lägt er fle fodann im ganzen Gehirn, in den Nerven und 
Muskeln ihren Sig auffchlagen, und fchlieglich fügt er ihnen 
noch ein zweites Gedächtnis hinzu, das intellektuelle, deffen 
wir uns nach feiner Ausfage am häufigften bedienen. Das 
körperliche Gedächtnis ift dann fchlieglich nur noch die 
Gewohnheit, gewiffe Bewegungen auszuführen/' Um mit 
dem legten zu beginnen, distinguo: Das körperliche 
Gedächtnis im engeren Sinne, das ja auch im Menfchen 
fein kann, ja; das körperliche Gedächtnis im weiteren 
Sinne, nein; und diefes ift es doch, worin D. gerade den 
Unterfchied zwifchen Menfdi und Tier fegt. Denn dag den 
Tieren das intellektuelle Gedächtnis nicht beigelegt werderL 



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— 39 — 

kann, fleht von vornherein und eo ipso außer Frage. 
Boutroux macht fldi hier der gleichen Verwechfelung 
des körperlichen Gedächtniffes im engeren und weiteren 
Sinne fchuldig wie Hoffmann (379), der unter Berufung 
auf premieres pensees sur la generation des animaux 
(Cous. XI, 596): „Die Tiere haben wie wir la memoire 
des objets materiels" und weiterhin auf X, 208, wo er 
ihnen Leben und Empfindung zufpräche, autant qu'il de- 
pend des organes du corps, D. Widersprüche vorwirft, 
während der Sinn der Säge fofort harmoniert, fobald wir 
hier unter Gedächtnis das körperliche Gedächtnis im 
engeren Sinne verftehen. Direkt unrichtig aber ift die 
Boutrouxfihe Darfteilung der genetifihen Entwicklung 
der Lehre vom Gedächtnis bei D., als fei D. unter dem 
Drucke des Zwanges „der Unmöglichkeit einer Erklärung 
für die groge Zahl von Bildern in einem fo engen Räume" 
erft nach und nach von der Zirbeldrüfe zum ganzen Ge- 
hirn, zu den Nerven und Muskeln und fchlieglich zum int. 
Gedächtnis gekommen. Denn 1. widerfpricht dem die 
Tatfache, dag D. gleich bei feinen erften brieflichen Aus- 
führungen über die Zirbeldrüfe (29. Januar 1640, III, 19 f.) 
die Bilder in das ganze Gehirn, die Nerven und Mus- 
keln verlegt (20, Z. 8: les especes sont principalement 
recues en toute la substance du cerveau, ferner Z. 20: 
dans les muscles de ses mains) und fchon zwei Monate 
fpäter (am 1. April), fofort im nächften Schreiben über 
denfelben Gegenftand (III, 48, Z. 27), das intellektuelle 
Gedächtnis einführt; 2. entfpricht die Dreiteilung des Ge- 
dächtniffes genau der Trias, wie wir fle bei sentire, ima- 
ginari, appetere kennen gelernt haben, ift alfo im Syftem 
D.' tiefinnerlich begründet (cf. Keugen 39 f., 53 f.). Fol- 
gende Tabelle möge die Parallelität der D.fihen Dreitei- 
lung des Erkenntnisprozeffes veranfchaulichen : 



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— 40 



III. pure intellegere s. percipere 
pure velle 
memoria intellectualis 


IL sentire im weiteren Sinne 
imaginari 
appetere 
memoria corporalis „ „ 


I. sentire im engeren Sinne 
imaginari „ „ „ 
appetere „ 
memoria corporalis „ „ 


D. unterscheidet drei 
Stufen des Erkenntnis- 
prozesses 


rein 
psychi- 
scher 
Natur 


wesent- 
lich psy- 
chischer 
Natur 


rein 
physiolo- 
gischer 
Natur 


3 ^ 

5"? 


nur in der 

menschlichen 

Seele 


im conjunctum 

von 
Leib und Seele 


nur im tierischen 

und mensch- 
lichen Körper 
(Organen und 
Nervensystem) 


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§3 

N 


des betr. rein 
physiologischen 
Vorganges ad I, 
der die Gelegen- 
heitsursache 
bildet, 


äusserer 

mechanischer 

physischer 

Reize 


Seine Entste- 
hung ist bedingt 
durch das Vor- 
handensein 


nur von innen nach 
aussen, weder 

veranlasst durch 
die Vorgänge ad I 

oder II, noch be- 
dingt durch äussere 
Kausalität, sondern 
aus der Seele selbst 
erspringend, bew. 


von aussen nach 
innen und von 
innen nach aussen 
als Bestimmtwer- 
den oder Hinwen- 
dung der Seele; 
bewusst (fac. pas- 
siva sent.) 


rein mechanisch 
kausal von aussen 
nach innen, ohne in 

ein menschli- 
che sBe wusstsein z. 
treten, (fac. a c t i v a 
sentiendi) 


Er verläuft 


als 
(höherer) 

modus 
cogitandi 


als 
(niederer) 

modus 
cogitandi 


nicht 
als modus 
cogitandi 


W 



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— 41 — 

7. Die zweite Auseinandersetzung mit der 
Scholastik (1641/42). 

In dem Thefenftreite und den Disputationen des 
Regius, des Prof elf ors der Medizin zu Utrecht, eines 
Freundes und Schülers D.', die in den Jahren 1641/42 
pacem ac incrementum novae academiae communiaque 
iuventutis studia perturbatura videbantur (III, 368), wurde 
auch unfere Materie berührt, wie Thefen de bove vivo 
et mortuo ejusdemque differentia und de bove mortuo 
et a daemone moto (ib.) zeigen. Dem Umftande, dag Re- 
gius feinen Lehrer fortwährend auf dem Laufenden 
hielt und bei ihm Rat holte, verdanken wir einige Äuge- 
rungen D.', die allerdings weniger in pofitiver Hinficht zur 
Erläuterung feiner Lehre beitragen, in negativer Hinficht 
jedoch das Verhältnis zwifchen feiner und der Lehre der 
Scholaftik klarzuftellen geeignet find und fomit inhaltlich als 
eine Fortfegung der in der Kontroverfe mit Froidmont 
vorgetragenen Anflehten gelten können. Unter Berüdc- 
fichtigung der Konjekturen Adams u. Tannerys (III, 
703) über die Zeitfolge der Briefe 239 und 240 (III, 369 
und 370) führen wir aus diefen Briefen folgende ein- 
fchlägige Partien an. III, 371: „Nicht billige ich Deine 
Meinung, die menfihliche Seele fei dreifach; denn dies 
Wort ift in meiner Religion einn Härefie. Und in der 
Tat, auch abgefehen hiervon, verflögt es gegen die Logik, 
die anima gleichfam als genus zu f äffen, deren species 
mens, vis vegetativa und vis motrix animalium feien. Denn 
unter anima sensitiva darfft Du nichts anderes verftehen 
als die vis motrix, wenn Du jene nicht mit der a. ratio- 
nalis verwechfelft. Diefe vis motrix aber unterscheidet fidi 
von der vis vegetativa nicht einmal der species nach; 
beide aber find toto genere von der mens verfchieden. 
Aber weil wir in der Sache nicht auseinandergehen, möchte 
ich die Sache fo auseinanderfegen: Die Seele im Menfdien 
ift nur eine einzige, nämlich die vernünftige; denn keine 



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— 42 - 

Handlungen find als menfihlidi zu erachten, wenn fle nidit 
von der Vernunft abhängen. Die vis vegetandi aber und 
corporis movendi, die in den Pflanzen und Tieren anima 
vegetativa und sensitiva genannt werden, find zwar auch 
im Menfchen, aber fle dürfen in ihm nicht animae genannt 
werden, weil fie nicht primum principium leiner Hand- 
lungen und toto genere von der a. rationalis verfihieden 
find. Die vis vegetativa im Menfchen aber ift nur eine 
beftimmte Konftitution der Körperteile . . . und da die mens 
o. a. rationalis vom Körper verfihieden ift, fo wird fie 
nicht mit Unrecht allein von uns anima genannt." Und 
III, 370 beftreitet er ausdrücklich, dag die vis veg. et. sent. 
in den Tieren die Bezeichnung anima verdiene, wie die 
mens fie im Menfchen verdiene; aber die Menge habe es 
einmal lo gewollt, weil fie nicht wiffe, dag die Tiere der 
mens entbehrten und deshalb fei der Name anima 
aequivoc inbezug auf Menfch und Tier. Auch diefer Brief 
verfichert eingangs: Tota nostra controuersia de amina 
triplici magis est de nomine quam de re; der Reft kann, um 
Wiederholungen zu vermeiden, füglich übergangen werden. 1 ) 

l ) Es hiesse den Charakter vorstehender Äusserungen voll* 
ständig verkennen, wenn wir annähmen, es sei D. ernst mit seiner 
Behauptung, es handle sich hier nur um einen Streit um Worte. Die 
Konsequenz würde dann die sein, dass er seine Lehre modifiziert 
und der scholastischen Lehre von der Tierseele angenähert habe. 
Koch und Otten ist ein ähnliches Missgeschick bezüglich des 
Briefes an Regius vom Januar 1642 (III, 491) passiert, trotzdem D* 
die Tendenz desselben S. 492 expressis verbis signalisiert: Nunc 
curandum est, ut quaecumque vera proposuisti, quam modestissime 
defendas, et siquae minus vera, vel tantum minus apte dicta, elapsa 
sint, absque ulla pertinacia emendes . . . aperte fatearis te illum scolae 
terminum non recte intellexisse. Schon Dezember 1641 (III, 460) 
hatte D. geschrieben : Vix quicquam durius et quod maiorem offensae 
ac criminationis occasionem dar et, in thesibus tuis ponere potuisses, 
quam hoc: quod homo sit ens per accidens; nee video, qua 
ratione melius possit emendari (!), quam si dicas, te consi- 
derasse etc. Indem nun Koch und Otten trotz dieser Signale die 



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— 43 — 

Es tritt hier ein doppeltes Beftreben D.' zutage: ein- 
mal will er ein grobes Mißverständnis feiner Lehre bei 
feinem Schüler befeitigen, fodann aber gilt es, feiner 
Lehre eine Faffung zu geben, die dem Voetius und fei- 
nem fdiolaftifdien Anhange nur wenig Angriffspunkte 
bietet. Beides erreicht er dadurch, dag er die Bezeich- 
nung anima rationalis beibehält, aber ftatt anima sen- 
sitiva et vegetativa die vis sens. und veg. einführt. 
D. war aber weit entfernt, feine Seelenlehre der ftho- 
laftifchen zu nähern, die Thomas - dem D. wohlbe- 
kannt, denn deffen Summa und die Bibel bildeten D/ 
ganze Bibliothek (III, 629) - S. th. p. I, qu. 76, a. 4 in 
die Worte zufammenfagt: eadem numero est anima in 
homine sensitiva et intellectiva et nutritiva . . . anima in- 



sophistische Unterscheidung des accidentären Seins in ein absolutes 
und relatives (tantum u. quodammodo acc.) für bare Münze nehmen, 
kommen sie zu dem ungeheuerlichen Schlüsse, D. habe sich veran- 
lasst gesehen, seine Annahme von der substantiellen Vereinigung 
von Leib und Seele einzuschränken (Otten 67) bezw., die Prädi- 
kate zur Bestimmung von Leib und Seele seien bereits so schwan- 
kend geworden, dass D., um weiteren Einreden und Widersprüchen 
zu begegnen, sich zu einer weiteren Unterscheidung getrieben sähe 
und urplötzlich nach Form und Methode zu scholastizieren [begänne 
(Koch 97). Die ganze Korrespondenz D/ im Thesenstreite zwischen 
Regius und Voetius zeigt zur Genüge, dass alle nach Form und 
Inhalt verfänglichen an die Scholastik anklingenden Äusserungen D/ 
nur gemacht sind, um dem Regius eine Brücke zu bauen, und 
seinen Schüler aus einer Lage zu befreien, wohin ihn jugendliche 
Unbesonnenheit und Unklugheit gebracht hatte. Die inkriminierten 
Stellen beweisen für die positive Lehre D. J gar nichts, es kann aus 
ihnen nur geschlossen werden, dass D. auch auf dem Gebiete diplo- 
matischer Gewandtheit und spitzfindiger Sophistik seinen Meister 
sucht. 

Dieser aus den späteren Briefen zwischen D. und Regius 
gewonnene Massstab ist mithin auch an unsere beiden 239 u. 240^ 
oder wie A. u. T. will, drei Briefe zu legen, die im Anfange des 
Thesenstreites gewechselt wurden. 



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— 44 — 

iellectiva continet in sua virtate, quidquid habet anima 
sensitiva brutorum, nutritiva plantarum. Bezüglich der 
fcholaftifchen Formeln vis augmentativa und sensitiva ift 
-allo hier bei D. die Vorftellung fernzuhalten, dag hinter 
dielen Potenzen irgend eine anima vegetabilis o. sensibilis 
ftände. D/ anima rationalis erfüllt nach wie vor nicht die 
Funktionen der anima sensitiva und vegetativa, wie in der 
Scholaftik, und die operatio a principio intrinseco der 
Pflanzen- und Tierleele im Gegenfage zur operatio a prin- 
cipio extrinseco der motiones corporum non animatorum, 
wie lie Thomas S. th. I, 78, 1 unterfcheidet, deckt lieh 
nicht mit der D.fchen Auffaffung eines nur graduellen 
Unterschiedes zwilchen dem corpus inanimatum und ani- 
matum, womit die formae substantiales der Tier- und 
Pflanzenleele über Bord geworfen wurden. 

Das Bemühen D.', dielen Kernpunkt der Kontroverle 
— Verwerfung der fubft. Formen — in den Hintergrund zu 
fchieben, eine Methode, die er nicht nur in leinen 
Hauptfchriften, fondern auch in leinen Briefen Feinden wie 
Freunden gegenüber befolgt, fo 1638 Morin (II, 200) 
und 1640 Merfenne (III, 211) gegenüber — wurde durch 
den von Voetius infolge der neuen Regiusfihen 
Theien vom 8. Dezember 1641 erregten Dezemberfturm 
vereitelt. Gar ungnädig fährt der Meifter leinen Schüler 
an (III, 492) : „Was hatteft Du es nötig, die Iubftantiellen 
Formen und realen Qualitäten zu verwerfen? ErinnerftDu 
Dich denn nicht, dag ich in Meteoris pag. 164 mit ganz aus- 
drücklichen Worten erklärt habe, diele würden keineswegs 
von mir verworfen oder geleugnet, fondern nur nicht 
benutzt, um meine Gründe auseinanderzulegen? Aber 
was gefihehen ift, kann nicht ungefchehen gemacht wer- 
den. Nun ift Sorge zu tragen, dag Du das, was Du 
Wahres aufgeftellt haft, in möglidift befdieidener Form 
verteidigft." Und fo gibt lieh denn D. fchweren Herzens da- 
ran, direkt die Iubftantiellen Formen und aktiven Quali- 



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— 45 — 

täten der SchoJaftik zu bekämpfen, doch hält er mit feinem 
Namen forgfältig (I. III, 494, Z. 8 — 14) zurüde und über- 
mittelt dem Regius feine Anflehten zur weiteren Ver- 
wertung. Aus feinen Ausführungsn betr. die in untere 
Materie einfehlägigen formae substantiales fei folgendes 
hervorgehoben. 

Zunächit definiert D., um jegliche Zweideutigkeit zu 
vermeiden, dag unter forma substantialis, wie er fle leug- 
net, er verfteht : substantiam quandam materiae adiunetam 
et cum ipsa totum aliquod mere corporeum componentem, 
quaeque non minus, aut etiam magis quam materia, sit 
vera substantia, siue per se subsistens, quia nempe dici- 
tur esse Actus, illa vero tantum Potentia. Dag D. hier 
unter formae subst. in rebus mere corporalibus die Tier- 
feelen mit im Auge hat — die übrigens nach Thomas S. 
th. I, 57, 3 cum per se non operentur, non sunt sub- 
sistentes — ergibt fleh daraus, dag er den von Voetius 
mit Berufung auf Gen. 1,21: Creauit Deus cete grandia et 
omnem animam viuentem atque motabilem, quam produxe- 
runt aquae in species suas et omne volatile seeundum genus 
suum etc. angetretenen theologifthen Beweis für die Er- 
örterung derartiger von der Materie verfihiedenen Sub- 
ftanzen nicht für ftichhaltig hält. 

Voetius hatte fodann eingewandt (III, 503): Wenn 
wir die subftantiellen Formen in rein materiellen Dingen 
leugnen, können wir fogar zweifeln, ob ein folche fleh im 
Menfchen findet. Auch können die Irrtümer derer, die 
eine allgemeine Weltfeele oder etwas Ahnliches annehmen, 
nicht fo glücklich und fleher zurückgewiefen werden, wie 
es die Vertreter diefer Formen vermögen. 

Im Gegenteil, meint D., die Annahme der f. s. könne 
leicht ein Hingleiten zur Meinung derer bewirken, die die 
menfehliche Seele für körperlich und fterblich erklären. 
Wird aber diefe als die einzige f. s. hingeftellt, während 
die übrigen nur in der Geftaltung der Teile und der Be- 



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— 46 — 

wegung beliehen, fo zeigt dieler überaus große Vorrang 
vor den übrigen, dag fle der Natur nach wefentlidi von 
jenen verfchieden ift, und dieler wefentliche Unterfchied 
eröffnet den leiditeften Weg für ihre Unkörperlidikeit und 
Unfterblidikeit. 

Dem wefentlichen Unterfihied der Sdiolaftik zwifdien 
Automat und Tier ftellt er fihlechthin feinen graduellen 
gegenüber, (III, 504, f. auch 266: valde tarnen facit differre 
secundum magis et minus) und die von Voetius mit 
großem Autoritätenapparate aufgeftellten drei rationes, 
quae a formarum assertoribus adferri solent, erledigt er 
mit einer Handbewegung: „Rationes omnes ad probandas 
formas substantiales applicari possunt formae horologij, 
quam tarnen nemo dicet substantialem (III, 505), gibt fo- 
dann aber (ibid.) ausführlidi zwei Gründe oder phyfifdie 
Demonftrationen gegen die f. s. an, womit er einer For- 
derung des Voetius (f. III, 525, Anm. zu pag. 505 1. 7) 
entfpradi. Den erften entnimmt er der Theologie : 

„Es dürfte wohl vollftändig widerfinnig fein, daß eine 
Subftanz von neuem exiftiert, wenn fie nicht von neuem 
von Gott erfdiaffen wird. Wir fehen aber täglich viele 
von jenen Formen, die fubftantielle genannt werden, von 
neuem anfangen zu fein, obwohl diejenigen, die glauben, 
es feien Subftanzen, nicht meinen, fie würden von Gott 
gefdiaffen. Dies wird beftätigt durch das Beifpiel der 
Seele, welche die wahre fubftantielle Form des Menfchen 
ift; denn diefe wird, wie man glaubt, aus keinem anderen 
Grunde unmittelbar von Gott erfdiaffen, als weil fie eine 
Subftanz ift. Folglich darf man, da man glaubt, dag die 
anderen nicht auf diefelbe Weife gefdiaffen werden, fon- 
dern nur aus der Potenz der Materie entftehen, auch 
nicht annehmen, es feien Subftanzen. Und hieraus geht 
hervor, dag nicht die, welche die fubftantiellen Formen 
leugnen, fondern vielmehr ihre Vertreter durch gediegene 



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— 47 — 

Folgerungen dahin geführt werden können, dag fie ent- 
weder Tiere oder Gottlofe werden" (III, 505). 

Der zweite Beweis liegt auf metaphyflfchem Gebiete 
und geht aus von dem Zwecke oder dem Gebrauche der 
fubltantiellen Formen: 

„Denn lie find nur aus diefem Grunde von den Philo- 
fophen eingeführt, um durch fie eine Erklärung der den 
Naturdingen eigenen Handlungen geben zu können, wo- 
von diele Form Prinzip und Wurzel fein foll. Aber auch 
nicht eine natürliche Handlung findet in jenen fubftan- 
tiellen Formen ihre Erklärung; geftehen doch ihre Ver- 
treter, fie feien dunkel und ihnen unverftändlich. Denn 
wenn fie fagen, eine Handlung geht hervor aus ihrer fub- 
ftantiellen Form, fo ift das dasfelbe, als ob fie fagten, fie 
ginge hervor aus einem von ihnen nicht eingefehenen 
Etwas, womit nichts erklärt ift. Alfo dürfen jene Formen 
für die Erklärung der Urfadien der natürlichen Handlungen 
in keiner Weife eingeführt werden" (III, 506). — 

Drei Gründe veranlaffen uns, mit diefen polemifdien 
Erörterungen unteren Gang durch die Briefliteratur vor- 
läufig zu beenden. Erftens fdieint das beigebrachte Mate- 
rial fowohl nach feiner negativen Seite hin — Kampf 
gegen die Lehre der Sdiolaftik — als auch nach feiner 
pofitiven Seite hin zu einem proviforifchen Abfchluß und 
zur Fixierung der bisherigen Ergebniffe auszureichen. 
Wir glauben uns zweitens hierzu berechtigt, weil am 28. 
Auguft 1641 — alfo im felben Jahre, in dem wir Halt 
machen — bei Soly in Paris die lat. Ausgabe der Medi- 
tationen erfcheint, alfo auch vom Standpunkte der hifto- 
rifchen Entwickelung des D.fdien Syftems als Ganzen kein 
Einwand erhoben werden kann. Endlich bringen uns die 
folgenden 4 Jahre 42—45, wenn wir von den bereits im 
Vorbeigehen verwerteten geringfügigen und gelegentlichen 
Äugerungen III, 479 (an Gibieuf 42), III, 504, 566 (an 
Regius 42), IV, 64 (an Buitendijk 43), IV, 117 (an 



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— 48 — 

Mesland 44) abfehen, nichts Einlchlägiges, ein Beweis,, 
dag auch im Denken D.' felbft unlere Frage zu einem ge- 
wiffen Stillftand gekommen ift. Dieler Umftand in erfter 
Linie ladet zu einem kurzen Rüde- und Ausblick ein. 



III. Rück- und Ausblick. 
1. Kritik des gehobenen Materiales. 

Vergegenwärtigen wir uns kurz die hiftorifche Genefls 
der D.Idien Auslaffungen, fo fehen wir, wie er 1637 im 
Discours in Form eines referierenden Auszuges aus fei- 
nem Monde in wenigen aber wuchtigen Strichen die Kon- 
turen feines Syftemes hinwirft : Verwerfung der Tierfeele, 
mechanifche Erklärung des tierifchen Lebens. Erft nach 
und nach trägt er die Einzelheiten hinein und arbeitet 
das Bild in feinen Feinheiten heraus: 37 noch Hellt er 
das tierifche Empfinden klar, 38 die Affekte und Leiden- 
fchaften, 39/40 die Strebungen und Imaginationen, 40 end- 
lich das Gedächtnis. Alle Äugerungen fallen in die Zeit 
zwifdien dem Erfcheinen feiner erften beiden Hauptwerke, 
des Discours und der Meditationen, und werden eröffnet 
und gefchloffen — Discours = Fromondus und Re g i u s 
— durch die Ablehnung der fubftantiellen Tierfeele. 

Gewig ift zuzugeben, dag diefe äugere Reihenfolge, 
wie fle uns in den Briefen entgegengetreten ift, veranlagt 
und bedingt ift durch die Anfragen und Einwürfe der 
Korrefpondenten ; trogdem erfcheint es nicht angängig, fle 
für eine rein äußerlich zufällige zu halten: Wie käme fonft 
das sentire, das D. durch das ihm aus der Dioptrique ge- 
läufige Beifpiel des videre erläutert, an die Spige zu 
ftehen und die memoria, vielleicht die fchwierigfte Materie 
unter den modis cogitandi, ans Ende? Bei dem videre 



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- 49 — 

bewegte fleh der Entdecker und Erklärer der Refraktion, 
der Kurz- und Weitflditigkeit, der Erfcheinung der Nach- 
bilder, des Aufrechtlehens, der Akkomodationsfähigkeit der 
Augenlinien auf bekanntem Terrain; vorflditig fegt er 
Schritt vor Schritt, gleichfam taftend, feinen Fug weiter, 
legt Bauftein auf Bauftein auf die Grundmauern des Dis- 
cours. Er erörtert nur den Punkt, worum es üdi gerade 
handelt und läßt fleh weiteres nicht ablocken, nicht ab- 
ringen. Alles ein Beweis, dag leine Theorie noch im 
Werden begriffen ift, dag wir noch kein allfeitig abge- 
fdiloffenes und in fleh gefchloffenes Syftem vor uns haben. 
Das zweite Charakteriftikum der vorgetragenen An- 
flehten ift die polemildie Tendenz gegen die Lehre 
der Schule. Im Discours verhüllt aus opportuniftifchen 
Rückfichten, tritt fie 41/42 beim Thefenftreit des Regius 
offen zutage. Der indirekte Kampf gegen die Sdiolaftik 
ift auch der rote Faden, der fidi durch die detaillierten 
Äugerungen hindurchzieht. Freilich ftimmen Sdiolaftik und 
D. in wichtigen Punkten überein: beide Iprechen das hö- 
here Erkenntnis- und Strebevermögen oder das reine 
Denken und Wollen, das intellektuelle Gedächtnis, Willens- 
freiheit und Unfterblidikeit den Tieren ab. Trogdem ift 
der aus taktifchen Gründen abgegebenen Verfidierung des 
D., es handle fidi mehr um einen Streit um Worte als 
um Dinge, nicht beizupflichten. Denn durch die Ablehnung 
der fubftantiellen Tierfeele wird — wenigftens foweit wir 
jegt fehen können — nicht nur das ^ox;, fondern auch das 
oxi berührt. Nicht nur in der Frage: „Wie ift das tie- 
rifdie Leben und leine Äugerungen zu erklären?" fondern 
auch in der tatfächlidien Unterlage, was eigentlich da& 
Wefen der tierifdien Lebenserfiheinungen ausmacht, 
öffnet fidi vor unfern Augen eine tiefe Kluft. D. kennt 
zwifdien der blogen Maßhinentätigkeit der von ihm ent- 
deckten Reflexbewegungen und den motus spontanei, den 
durch Zielvorftellungen ausgelöften intelligenten Hand- 

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— 50 — 

lungen, kein Mittleres: Der Menfdi allein handelt bewußt 
zweckmäßig, die tierifihen Handlungen folgen mit unab- 
änderlicher Notwendigkeit aus den phyfiologifdien Nerven- 
reizen, automatifch, ohne daß das Tier in der Lage wäre, 
öe durch irgend eine Selbftbetätigung zu modifizieren. 
Die Scholaftik hingegen nahm in den Tieren den Inftinkt 
an, d. h. um hier die Wasmannfdie Definition (S. 21) 
zu gebraudien , eine erbliche zweckmäßige Anlage des 
finnlichen Erkenntnis- und Strebevermögens, einen finn- 
lidien Trieb, der zu Tätigkeiten anleitet, deren Zweck- 
mäßigkeit zwar außerhalb des Erkenntnisbereiches des 
betreffenden Tieres liegt, der es aber befähigt, feine 
finnlichen Empfindungen und Vorftellungen mehr oder 
minder felbfttätig auszunutzen. Die unvergleichlich höhere 
Vollkommenheit der von Gott und der Natur verfertigten 
Tiermafchine vermag nicht die Kluft zwifchen den Tätig- 
keiten diefer und des Inftinktes auszugleichen, wenn auch 
D. und die Scholaftik in den beiden extremen Punkten: 
Der Menfch allein handelt bewußt zweckmäßig, das Tier 
nur ohne Bewußtfein des Zweckes der Tätigkeit und des 
logifchen Zufammenhanges zwifchen Handlung und ihrem 
Refultate, übereinftimmen. 

Gleichwohl wäre es übereilt, fihon jefet zu einem de- 
finitiven Urteil über D.' Lehre gelangen zu wollen. Das 
verbietet einmal ihr fragmentarif eher Charakter. 
So hat D. z. B. noch gar nicht angefchnitten die Frage 
nach dem „Gemeinfinn" der Tiere, den er beim Men- 
fchen in die glandula pituitaria lokalifiert (III, 263), „die 
fich findet zwifihen Herz und conarium, von wo die 
Schlagadern mehrere Arme ausfenden. Denn es muffen", 
erklärt D. weiter an unterer Stelle, „dort die größten Teile 
des Blutes von den kleinften getrennt werden, die dann 
allein durch die am meiften rechts liegenden Arme diefer 
Schlagadern bis hinauf zum Gehirne fteigen, wo das cona- 
rium ift. Und diefe Trennung kann man fich nur mecha- 



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— 51 — 

nisch vollzogen denken, fo wie Binlen und Schaum, die in 
einem Badie fliegen, der fidi in zwei Arme teilt, in den 
Arm gehen, wo das Waffer am wenigften in der geraden 
Linie fliegt." Wie D. auf Anfrage nach dem Gemeinfinn 
der Tiere dielen erklärt haben würde, kann auf Grund 
diefer Stelle unter Berückfichtigung des früher bei der 
memoire corporelle im uneigentlichen Sinne Gefagten mit 
Sicherheit gefdiloffen werden. Anders aber würde die 
Sache flehen, wenn wir jegt Stellung nehmen follten zu 
der Frage, die v. Berger aufgeworfen hat: „Hielt D. 
die Tiere für bewugtlos?" Zur Beantwortung diefer 
Frage genügt u. E. das bis jegt gehobene Material kei- 
neswegs, da es den Stempel feiner Herkunft zu deutlich 
an fich trägt. Denn — und damit kommen wir zur vierten 
<harakteriftifihen Eigentümlichkeit unlerer bisherigen Er- 
hebungen — D. hat bisher nicht, wie er öfters verfpro- 
<hen, die tierifdien Lebensvorgänge von unten herauf, aus 
der dispositio organorum mechanifih-kaufal bis in die 
legten Ausläufer erklärt, fondern feine Erörterungen 
gehen von oben nach unten, nehmenden entwickelten 
Menfchen, das menfchliche cogitare und feine 
modi zum Ausgangspunkte und ftellen nun per ex- 
clusionem feft, nicht fo fehr was z. B. das tierifdie sentire 
ift, fondern was es nicht ift, dag es kein men fehl ich es 
sentire sive cogitare ift. Und wenn nun D. auch auf 
diefer via negationis zu dem gemeinfamen phyfiologifchen 
Unterbau des tierißhen und menfehlichen sentire kommt, 
f o ift mit der Verneinung und dem Ausßhlug der dem Men- 
fchen eigentümlichen höheren Stufen nur der Rohbau der 
Struktur gegeben, diefe felbft aber bis in ihre Feinheiten 
und Beziehungen zu einander noch nicht erfchöpfend be- 
handelt. Die forgfältig abgewogene Ausdrucksweife D.', 
fein einleitend ausgefprochener Wunfih, ihm niemals eine 
Meinung zuzufchieben, die er nicht expressis verbis ge- 
äugert, zeigen klar, dag D. weit davon entfernt war, 

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— 52 — 

Behauptungen ohne reifliche Erwägungen auszusprechen,, 
und leine Lehre bietet mehr als einem Punkte den Be- 
weis — wir erinnern nur an den „Okkaflonalismus D. ,w — 
dag dort, wo er bereits unrettbar in ein Extrem zu ver- 
fallen fdieint, er durch eine plötzliche überrafchende Wen- 
dung fleh den vermeintlichen Konfequenzen feiner Lehre 
entzogen hat. 

2. Orientierung am Begriff „cogitare". 

Es fdieint uns, bevor wir an die weitere Hebung des 
nach Erfcheinen der Principia lieh findenden Brief materiales 
gehen, hier der Ort zu lein, in eine Beiprechung der Ent- 
wicklung des Begriffes cogitare = penser bei D. einzu- 
treten. Denn es ift anzunehmen, dag diefer Begriff bei 
D. nach 1644 zu einem gewiffen Abfchlug in feiner Ent- 
wickelung gekommen ift. Ein Migverftändnis diefes Zen- 
tralbegriffes der D.fchen Pfychologie würde aber bei der 
kritifchen Interpretation der bereits vorgeführten und noch 
mehr der noch ausftehenden Stellen verhängnisvoll fein. 
„In der Tat", lagt Trognife, „hat D. durch Aufftellung 
feines cogito, um im Sinne feiner analytifdien Geometrie 
zu fprechen, das fefte Koordinatenfyftem hingeftellt, auf 
welches fleh alle feine philofophifdien Unterfuchungen be- 
ziehen. Denn es findet hier dasfelbe ftatt, wie in der 
analytifdien Geometrie, welche die Flächen und Linien 
nur ftudieren kann unter Zugrundelegung eines feften 
Axenfyftemes." 

Verfolgen wir zunächft D.' Definitionen des cogitare bis 
zum Erfcheinen der Meditationen. Schon bei der tierifchen 
Empfindung haben wir unter Bezugnahme auf I, 366 und 
II, 36 feftgeftellt, dag D. nicht blog das reine Denken und 
Wollen, fondern auch das Einbilden, Empfinden, Begehren 
als verfäiiedene Arten (faejons) des cogitare fagt, info- 
fern fie von der Seele abhängen. II, 38 nennt er 
das „Gefühl oder die Meinung", dag man atmet, einen 



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- 53 - 

<Jedanken. April 41 drückt er fichMerfenne gegenüber 
fihon klarer aus: „In dem einen Sinne fchließe ich die 
Einbildungen in den Begriff der cogitatio oder des Den- 
kens ein, in einem anderen fchliege ich fle aus: Die Bilder 
oder körperlichen Spezies, die im Gehirn lein muffen, So- 
bald wir etwas anfdiauen, find keine cogitationes; aber 
die Handlung des einbildenden oder auf jene Spezies lieh 
hinwendenden Geiftes ift cogitatio" (III, 361). Aus der 
Antwort auf die vom empirifchen Standpunkt aus erho- 
benen Einwände des Hyperaspistes (III, 422 ff.) entnehmen 
wir für unfere Zwecke die Säfee: Daraus, dag der Geift 
in einem Kinde unvollkommener h andelt als in einem Er- 
wachfenen, kann nicht gefchloffen werden, dag der Geift felbft 
unvollkommener fei (423,11); die menfdiliche Seele denkt 
immer, auch im Mutterfdioge (Z. 17); behaupten, die Seele 
hätte dann nicht gedacht, wenn fle nicht darauf geachtet 
hat, dag fle dachte, heigt behaupten, unfer Körper fei 
nicht ausgedehnt, wenn wir nicht bemerken, dag er Aus- 
dehnung gehabt hat (Z. 24); die mit dem Körper des 
Kindes erft kürzlich vereinigte Seele ift mit dem confuse 
Erfaffen der Ideen des Schmerzes, der Freude, der Wärme 
etc. befchäftigt, die Gottesidee hat fle nicht weniger wie 
die Erwachfenen, wenn diefe nicht darauf merken, erwirbt 
iie aber auch nicht bei zunehmendem Alter, fondern 
würde fle, wenn fle aus den Banden des Körpers befreit 
würde, bei fleh vorfinden (424, 9). Endlich die von 
Schaarfchmidt (18) betonte Stelle ep. I, 30, p. 62 Elz. 
cogitationis nomine intelligo illa omnia, quae nobis con- 
seiis in nobis fiunt, quatenus in nobis conscientia est. 

Nach Erfdieinen der Meditationen fchreibt D. (III, 455) 
Dec. 41 an Regius: Wie Länge, Breite, Tiefe und das 
Vermögen alle Geftalten und Bewegungen anzunehmen 
von der Materie oder der Ausdehnung nicht genommen 
werden können, fo auch nicht das Denken von der Seele." 
Denfelben Gedanken führt er Januar 42 an Gibieuf 



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— 54 — 

(III, 478) wie folgt aus : „Der Grund dafür, dag die Seele 
immer denkt, ift der . . . , daß das, was die Natur eines 
Dinges ausmacht, immer in ihm ift, folange es exiftiert 
. . Und idi lehe hier keine Schwierigkeit, es fei denn, 
dag man es als überflüfflg erachtet, zu glauben, fle denke, 
wenn uns nicht nachträglich eine Erinnerung hiervon 
bleibt." Diefen Einwand widerlegt er dunji die Tatlache 
des Unterbewugtfeins, „daß wir alle Nächte taufend Ge- 
danken und im Wachen taufend in jeder Stunde haben, 
wovon keine Spur mehr im Gedächtnis bleibt und deren 
Nufeen wir ebenlowenig einlehen, wie den Nugen der 
Gedanken, die wir vor unterer Geburt gehabt haben." 
Er fleht ebenlo auch (III, 479) keine Schwierigkeit darin, 
dag die Vermögen des Einbildens und Empfindens als 
modi des Denkens der Seele eignen, und doch nur hin- 
wieder, infofern fle mit dem Körper verbunden ift, weil 
es Arten von Gedanken find, ohne die man die Seele 
ganz rein begreifen kann. 1644 (IV, 113) fegt er keinen 
anderen Unterfchied zwifchen der Seele und ihren Ideen, 
als zwifchen einem Stück Wachs und den verfchiedenen 
Geftalten, die es empfangen kann, womit er zu Princ. I, 
15, 47, 53 überleitet. In legter Stelle klärt er uns über 
die amina, über das attributum und die modi cogitandi 
folgendermagen auf: Cogitatio est praecipua proprietas, 
quae ipsius sc. animae naturam essentiamque constituit 
et ad quam aliae omnes referuntur. 

Während D. noch in den resp. ad I. obj. (VII, 120f.) 
den Unterfchied zwifihen der Subftanz und ihrem Attribut 
(z. B. Seele und Denken) als denfelben behandelt, wie den 
zwifchen Subftanz und ihren Modis (Seele und Empfinden), 
korrigiert er fleh Princ. I, 62 und ftellt Princ. I, 60 — 62 einen 
dreifachen Unterfchied auf: 1. den realen zwifihen Subftanz 
und Subftanz (Körper und Seele), 2. den modalen und 
zwar a) zwifchen der Subftanz und ihren Modis (Seele 
und Empfinden), b) zwifihen zwei Modis derfelben Subftanz 



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— 55 — 

(Empfinden und Begehren) und endlich 3. den geringeren 
Beziehungsunterfdiied zwifihen der Subftanz und ihrem 
Attribute (Seele und Denken). Diefe Untersuchung be- 
leuchtet er 1645 oder 46 (IV, 348) an der Hand des Unter- 
fchiedes zwifdien Effenz und Exiftenz in einem nach eige- 
nem Geftändnis etwas konfulen Briefe von einem neuen 
Geflchtspunkte aus, führt fle weiter und vertieft fle, in- 
dem er den oben sub 3 genannten Unterfchied rationis 
rationatae — unter ausdrücklicher Verwerfung der fdio- 
laftifchen distinctio rationis rationantis sine fundamento 
in re — dist. formalis nennt, und macht im 3. Teile 
dieles Briefes auf die Quelle der Hauptfchwierigkeiten in 
dieler Materie aufmerkiam J ). Es ift zweifellos, dag diele 



x ) Hiernach würde sich die D.sche Terminologie der Unter- 
schiede am Ende ihrer Entwicklung (45/46) in folgendes Schema 
fassen lassen: 

Distinctio 



1. realis 2. rationis rationatae 

zwischen Subst. u. Subst. (cum fundamento in re) 

(Körper u. Seele) 



a) modalis b) formalis 



a) zw. Subst. u. ihrem ß) zwischen 2 modis zwischen Substanz u. 
modus proprie dictus ders. Substanz ihrem Attribute, ohne 

( Seele u. Empfinden) (Empfinden u. Ein- das die Substanz nicht 
(Körper u. Gestalt) bilden) sein kann, 

(Gestalt u. Bewegung) (Seele u. Denken) 
(Körper u. Ausdehng.) 
Nur die erste Dist. deckt sich dem Namen und der Sache nach 
mit der d. realis maior der Scholastik; die d. modalis hat zwar D. 
nicht explicite gleich rationis rationatae cum fundamento in re gesetzt 
wie die d. formalis. Dass sie jedoch offenbar einen nur begrifflichen 
— wenn auch grösseren als die d. formalis — Unterschied statuieren 
will, ist mit Sicherheit aus der historischen Entwickelung seiner 
Lehre von den Dist., deren er im Anfange (1637) nur zwei, realis- 
sachlich und modalis-begrifflich, annimmt, sowie aus der Ablehnung 
der Realität der Akzidenzien und Seelenpotenzen (II, 424, III, 648 und 
denselben Wortlaut nochmals im Briefe V, 222) zu folgern. In der 



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— 56 — 

Entwicklung in feiner Lehre von den Diftinktionen nicht 
bloß in zeitlichem, fondern auch in urfächlichem Zufammen- 
hang fleht mit der Klärung feines cogitare-Begriffes. Wie 
fehr feine fpäteren Ausführungen an Schärfe gewonnen 
haben, bemerkt man 1648 in der Kontroverfe mit Ar- 
nauld: „Das Denken fefet die Wefenheit der Seele, wie 
die Ausdehnung die des Körpers, und es ift nicht als ein 
Attribut (richtiger wäre Modus) zu verftehen, das vor- 
handen fein oder fehlen kann, wie im Körper die Geteilt- 
heit in Teile oder die Bewegung." V, 221 nennt er die 
erften und einfachen Gedanken der Kinder im Mutterfchoge 
direkte, und unterfcheidet fle von der zweiten Perception 
des Erwachfenen, der paffiv empfindet und zugleich infolge 
der phyflologifchen Vervollkommnung des Gehirns aktiv 
inne wird, dag er diefelben früher nicht empfunden hat. 
Diefes reflexive Denken, das Bewußtfein unteres Be- 
wußt! eins, eine zweite Perceptio [= Erkenntnis oder be- 
wußte Wahrnehmung nach Erdmann (524) und Kupka 



D.scben d. formalis lebt dem Namen und z. T. auch der Sache nach 
die d. f. des Duns Scotus wieder auf, der eine d. f. sive actualis 
zwischen Formalitäten (z. B. Animalität und Rationalität) annahm, 
die aber von den Thomisten abgelehnt, bezw. als d. realis forma- 
rum bezeichnet wird. Mithin nähme die thom. Scholastik bei allen 
angeführten Beispielen nur reale Unterschiede an, da nach ihrer Auf- 
fassung überall eine „Einheit der Zusammensetzung" vorliegt, d. h. 
aktuelle Ungeteiltheit bei potentieller Teilbarkeit. Die d. r. rationatae 
des D. ist also durchaus nicht identisch mit der gleichnamigen in der 
Scholastik. Diese ist vielmehr rein logischer Natur und findet nur 
Anwendung auf das ens simplicitatis, das nicht nur aktuelle, sondern 
auch potentielle Teile von sich ausschliesst. Dieses als Ergänzung 
zu den Ausführungen v. Hertlings (4). Ludewig operiert 
vom Standpunkt der scholastischen Terminologie der Dist. gegen 
D., dem er bei der wesentlichen Verschiedenheit der D.schen Termi" 
nologie nicht völlig gerecht werden kann. Sehr richtig hat deshalb 
D . am Schlüsse unseres Briefes (IV, 350) bemerkt : „Ähnlich laufen 
a V.e Kontroversen der Philosophen nur darauf hinaus, dass man 
einander nicht gut versteht." 



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— 57 — 

<38)] bezieht er allein auf den Intellekt, obwohl fle mit der 
{sc. bewußten) Empfindung (sensatio) lo lehr verbunden 
ift, dag beide zugleich gefdiehen und nicht von einander 
unterfchieden werden können. Er kommt lodann auf die 
Zweideutigkeit („ambiguitas") des Wortes cogitatio 
{= denkende Subftanz und Bewußtfeinsmodi) zurück, 
die er Princ. I 63 u. 64 zu beieitigen gefacht habe: „Wie 
nämlidi die die Natur des Körpers konftituierende Aus- 
dehnung fleh fehr von den verfdiiedenen Geftalten und 
modis der Ausdehnung unterfdieidet, lo ift auch das 
Denken oder die denkende Natur, worin m. E. die Wefen- 
heit der menfdilidien Seele befteht, bei weitem etwas 
anders, als dieler oder jener Akt des Denkens, und die 
Seele hat aus fleh felbft die Kraft, diele oder jene Akte 
des Denkens hervorzubringen, nicht aber, dag fle ein 
denkendes Ding ift, wie auch die Flamme aus fleh felbft 
gleidifam als aus einer Wirkurfadie die Kraft hat, dag fle 
nach diefer oder jener Seite fleh ausdehnt, nicht aber daß 
fle ein ausgedehntes Ding ift. Unter Denken verftehe 
ich alfo nicht irgend ein Allgemeines (universale quid), das 
alle modi des Denkens zulammenfaßt 1 ) , londern die 



*) Die Kritik des Substanzbegriffes bei Thilo (145): „Der 
Modus verhält sich zum Attribut, wie das Besondere zum Allge- 
meinen, wie die Unterart zum allgemeinen Begriff' steht also auf 
schwachen Füssen. D. will, wie er durch den Zusatz quae reeipit 
omnes illos modos und durch den Vergleich mit der Ausdehnung 
andeutet, der cogitatio den Charakter eines universale nicht nehmen, 
nur dass sie den übrigen universalia (Existenz, Dauer, Grösse, Zahl 
etc.) gleichgestellt wird. Sie ist nicht ein beliebiges universale 
(univ. quid), sondern das universale xax' igoyrjv, das seinem Bewusst- 
seinsmodis nicht gegenübersteht, wie irgend ein genus seinen Species* 
sondern sie ist das primäre, wesenhafte, unabtrennbare Attribut der 
Denksubstanz, ohne welches die Substanz nicht sein kann, das ihr 
ursprünglich ist, — die Seele kann es nicht sich selbst geben — und 
worin die einzelnen Bewusstseinsmodi potentiell enthalten sind und 
woraus sie durch die der Seelensubstanz von Natur aus innewoh- 
nende Kraft aktuell werden können. Vergl. Keussen 24—27. 



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— 58 — 

[urfprünglidie und wefentlidie] Einzelnatur, die alle jene 
modi annimmt (naturam particularem, quae recipit omnes 
illos modos), wie auch die Ausdehnung die Natur ift, die 
alle Geftalten annimmt." Audi leine Unterfiheidung 
zwifdien Denken mit Bewugtfein und Denken mit Er- 
innerung (V, 221, 26) gehört nodi hierhin: „Etwas anderes 
ift es, unterer Gedanken uns bewußt zu fein, zur Zeit, wo 
wir fle denken, und etwas anderes, ihrer fleh nachträglich 
erinnern; fo denken wir nicht in unleren Träumen, ohne 
dag wir fchon im leiben Momente unleres Denkens uns 
bewußt werden, obwohl wir es meiftens lofort wieder 
vergelten." 

Wir haben abflditlidi die Reihenfolge der D.fdien 
Äugerungen nicht durch eigene Reflexionen unterbrochen, 
um unier Refume am Schluffe ebenfalls im Zulammenhange 
geben zu können. Drei Entwicklungsphafen glauben 
wir beim Begriff des cogitare feftftellen zu können. Die 
Briefftellen der erften Periode (37—41) beftimmen den 
Umfang des cogitare (I, 366), fodann wird als das kon- 
ftitutive urfprünglidie und unverlierbare Element in allen 
pfydiifdien Tätigkeiten das Merkmal des Bewußtieins be- 
zeichnet (II, 38, III, 361), endlich behauptet, dag bewußtes 
Denken immer, auch im Mutterfihoge vorhanden lei (HI, 
423 f). Mit den terminis Attribut, Modus wird überhaupt 
noch nicht operiert; die verfihiedenen Grade und Modi- 
fikationen des Bewußtieins find nur unklar angedeutet. 
Die Zeugnifte der zweiten Periode (41—44) ftatuieren 
das Denken als Attribut der Seele und die einzelnen 
plydiifihen Tätigkeiten als feine modi, immer in fteter 
Parallele mit dem Attribut und den Modis des Körpers (III, 
455, 478); die Unterfcheidung der Bewußtleinsgrade und 
Klalflfizierung der modi tritt deutlicher hervor (III, 479). In 
den Principia und Ipäteren Briefftellen, die uns die dritte 
Periode (44—48) reprätentieren, werden die Unterfchiede 
zwifihen Seelenfubftanz, Attribut und Modis des Denkens 



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— 59 — 

feiner herausgearbeitet, ferner wird das Bewußtfein, das 
in den früheren Perioden fdion nach dem Grade der 
modi in Klarheitsgraden abgeftuft erfiheint, in das direkte 
und reflexive eingeteilt (V, 221). 

So modifiziert nun aber auch D.' Anflehten in den 
verfdiiedenen Perioden erfcheinen, in den beiden wesent- 
lichen Punkten ift er fleh gleich geblieben: 

1. Wie das rein räumliche Sein mit dem Ausgedehnt- 
fein zufammenfällt, fo fällt auch alles rein zeitliche Sein^ 
jede pfydiifche Tätigkeit, mit dem cogitare zufammen; 
nicht bloß das reine Denken und Wollen, fondern auch« 
die niederen modi wie sentire, imaginari, appetere etc^ 
gehören zur natura particularis des Denkens und find 
nur begrifflich von ihm und untereinander verfchieden. 

2. Wie das Vacuum durch die mathematifche Kontinuität 
des Raumes ausgefthloffen ift, fo ift auch ein völliges Auf- 
hören der rein zeitlich verlaufenden pfychifchen Tätigkeiten? 
undenkbar; denn mit dem Aufheben jedes modus wäre 
auch das Attribut des Denkens und die nur formal von 
ihr unterfchiedene Seelenfubftanz felbft aufgehoben. Da 
nun das Bewußtfein das konftitutive Element des Attri- 
butes cogitare ift, das je nach dem höheren oder niederen 
Grade des modus in höherem oder niederem Klarheits- 
grade in jedem modus fleh findet, fo muß jedes Vacuum 
im Bewußtfein — wie im Menfihen vor der Geburt, im 
Träumen — als eine nur ftheinbare Leere, als ein Minimal- 
bewußtfein aufgefaßt werden. In e i n e m modus wenigftens 
manifeftiert fleh immer die Denkkraft, und diefer modus 
ift felbft dann bewußt, wenn wir nicht darauf achten oder 
uns des modus als eines bewußten fpäter nicht erinnern 
können. 

Würden wir nun verfuchen, das Gefagte mit unferer 
Frage: Hielt D. die Tiere für bewußtlos? in Verbindung 
zu bringen und vom Koordinatenfyftem des cogitare aus. 



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— 60 - 

zur Beftimmung des Innenlebens der Tiere vorzudringen, 
lo 1 die int fleh der Schlug geradezu aufzudrängen: Von 
irgend einem auch noch lo unklarem Bewugtiein • lelbft bei 
den hödiften Tätigkeiten der Tiere kann ablolut keine 
Rede lein. Denn mit dem modus des bewußten Fühlens 
ift nach den D.Tchen Prinzipien das Attribut des Denkens, 
ift die Seelenlubftanz lelbft gegeben. Diele „Tierleele" 
aber hat D. des wiederholten abgelehnt. Allo werden 
durch die mechanifchen Reize unmittelbar die Reflexhand- 
iungen der Tiere ausgelöft, ohne dag an irgend einem 
Punkte dieles mechanifch-kaulal verlaufenden Prozetles 
das Bewugtlein dazwifchen trete oder dielen Prozeß be- 
gleitete. Auch in der organifchen Tierwelt beruht wie in 
der rein körperlichen alles Gefchehen allein auf Aus- 
dehnung und Bewegung und ift einer rein mechanifdien 
einheitlichen Ableitung und Erklärung zugängig. 



3. Orientierung in der sekundären Literatur. 
Vorläufiges Ergebnis. 

In der Tat ! Das war die Auffallung der Zeitgenoiten 
des D., und in dielem Sinne eines konlequenten extremen 
Automatismus werden auch heute noch leine Äugerungen 
im Discours aufgefaßt. Wir übergehen hier die bezüglichen 
Auffallungen unlerer philolophifdien und philolophiege- 
fchichtlicben Handbücher wie Falckenberg (86), Paullen 
(161), Ueberweg-Heinze (97) u. a., die unlere Frage 
naturgemäg nur ftreifen können und halten kurz Umfchau 
in der Spezialliteratur, von der man doch die gründlichite 
Prüfung erwarten darf. Loewe (285) z. B. erwähnt im 
obigen Sinne „das bis zum Überflug behauptete Auto- 
matentum der Tiere" und weilt darauf hin (294), dag 
Cicero Tusc. quaest LI., Augultinus de quant. An. 
c. 30, Gomez Pereira in leiner Antoniana Margarita 



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- 61 - 

das Gleiche fchon früher behauptet haben. Lud ewig (71> 
folgert: „Da alfo Cartefius einerfeits ein senütives und 
vegatives Prinzip im Menfchen nicht zulieg, und anderer- 
seits die Natur der vernünftigen Seele allein in die Denk- 
tätigkeit verfemte, fo blieb ihm nichts anderes übrig, als 
den Leib und ebenfo die Tier- und Pflanzenwelt für eine 
mehr oder minder kunftvolle Mafchine zu erklären." Lange 
nennt die mechaniftifdie Erklärung des Seelenlebens im Tiere 
die „große Blöge" in der Philolophie D.' und nach Bark 
(63) folgt der fpezififche Unterfdiied zwifchen Menfchen und 
Tieren aus den D.fdien Prinzipien: „Doch ift fleher unfer 
Philofoph in der Erklärung der Empfindungen fich fo 
wenig gleichgeblieben, dag wir fchlieglich zu der Über- 
zeugung kommen, dag lieh ein qualitativer Unterfchied 
zwifchen Menfch und Tier in der Weife, wie D. ihn auf- 
fagte, nicht aufrecht erhalten lägt." Auch neuere hul- 
digen der extremen Anficht. So fagt Lippmann: „Be- 
züglich der Betrachtung der Tiere als bloger belebter Ma- 
fchinen, als lebendiger Automaten gewährt fchon der ein- 
fache Hinweis auf den begangenen Fehler volle Einficht 
in deffen Gröge." Ihm folgt Lewkowig (46): „D. war 
konfequent genug, den Tieren jedes feelifihe Leben ab- 
zufprechen und fie zu Automaten zu degradieren." Auch 
Chriftianfen meint unter Polemik gegen v. Berger, 
D. habe „unzweideutig" den Automatismus der Tiere ge- 
lehrt (27) und noch jüngft ftellte R. Eisler (Leib und 
Seele, Leipzig 1906, S. 7) unter Berufung auf Princ. phil. 
I, 8,53; Med. VI; Pass. I, 80 ff. als D.' Anficht hin: „Die 
Tiere gar find organifdie Automaten ohne Seele, ohne 
Bewugtfein." 

Und doch rari nantes in gurgite vasto! Zweifel 
äugert P. J. Mob i us in der kurz vor feinem Tode ver- 
öffentlichten Schrift: Die Hoffnungslofigkeit aller Pfycho- 
logie, Halle a. S. 1907: „Man hat, glaube ich, dem D. 
Unrecht getan, wenn man ihm nachfagte, er habe in dea 



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- 62 - 

Tieren fchlechthin nur Mafdiinen gefehen und ihnen die 
Seele Idilechtweg abgefprochen (17). Hätte D. die Tiere 
in unferem Sinne Mafdiinen genannt, fo wäre er einfach 
ein Narr gewefen (19)." D. habe lieh „im Eifer der Be- 
weisführung zu allzu groben Ausdrücken verlocken laffen", 
jene „kindifche Übertreibung" habe ihm fern gelegen, fei 
ein „Migverftändnis". Möbius ift jedoch feiner Sache 
nicht ficher, wie feine Abfchwädiungen „fcheint mir, 
glaube ich" dartun. Ein ftringenter Beweis kann ja auch 
nicht durch ein allgemein gehaltenes Raifonnement, fon- 
dern nur durch die Spezialforfdiung erbracht werden. 
Gründlicher verfuhr v. Berger, der fchon 1892 in 
einer eigenen Abhandlung einen Verfuch machte gegen 
die opinio communis Stellung zu nehmen. Er glaubt, 
dag die Frage: „Hielt D. die Tiere für bewugt- 
los?" fleh nicht vollkommen löfen lägt. D. habe fich die- 
felbe nirgends in feinen Schriften klar und [deutlich ge- 
ftellt (7), und es habe ihm am geratenften gefchienen, die 
ganze Sache aus dogmatifihen Gründen in Schwebe zu 
laffen (14): Trofedem könne D.' Anfleht nicht zweifelhaft 
fein: „Man braucht nur auf die wüften ethifihen Folge- 
rungen hinzuhören, mit welchen heute die Pöbelphilo- 
fophie als mit angeblichen Konfequenzen aus Theorien, 
welche das Tier und den Menfchen als Verwandte be- 
trachten, den Markt überfihwemmt. Dummer Menfihen- 
dünkel gegenüber dem Tier lag ihm fo ferne, als der ge- 
meine Adelshochmut echten Ariftokraten liegt." Auf Grund 
verfihiedener Kombinationen glaubt er die Frage auf- 
werfen zu dürfen (7): „Hielt D. ein vernunftlofes Be- 
wugtfein für etwas Undenkbares ? War er diefer Meinung, 
dann folgte aus feiner Überzeugung von der Vernunft- 
lofigkeit der Tiere mit ftrenger Notwendigkeit die 
Überzeugung von ihrer B ewugtlof igkeit . . . Ver- 
nunftlofes Bewugtfein wäre etwas Undenkbares, wenn 
Vernunft und Bewugtfein nur zwei Namen für ein und 



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- 63 - 

daslelbe Ding wären. Diele Meinung D. zuzu- 
muten, geht entfchieden nicht an. a Audi das ift 
ihm noch zweifelhaft, ob D. die cogitatio passiva (ich 
gewahre, dag die Seele z. B. will) als eine Tätigkeit der 
Vernunft gegolten habe (8), ja er behauptet geradezu, 
das innere Gewahren eines pfychifihen Phänomens fei 
nach D. keine Leiftung der Vernunft (9) und D. habe 
den Unterfihied zwifdien „Denken an einen pfychifihen 
Akt" und „unmittelbares Bewußtfein von einem pfychi- 
fihen Akt" fleh nicht zum Bewußtfein gebracht (ibid.). 
Ferner verweift er S. 15 auf Dubois-Reymond, 
der das Wefentliche des Pfydiifdien erft an den hö- 
heren Seelentätigkeiten, nicht fdion bei der einfadiften 
Empfindung bemerkt habe, ein Zugeftändnis, das dazu 
dienen könne, die Denkweife D.' zu erläutern (!). — 
Alle diefe Aufteilungen zeugen von einem nur oberfläch- 
lichen Eindringen in den Geilt der D.fthen Philofophie, 
denn darüber kann nach dem Vorftehenden durchaus kein 
Zweifel obwalten, daß bei D. cogitare = Bewußtfein, die 
cog. passiva ein modus cogitandi ift und er fogar fihon 
die Termini cog. reflexiva und directa für obigen Unter- 
fihied geprägt hat. Und fo kann es denn nicht Wunder 
nehmen, daß die'v. Berge rfihe Abhandlung, die neben- 
bei bemerkt, ohne jede Benutzung von Briefftellen ge- 
fihrieben ift, in der ganzen D.-Literatur, foweit wir we- 
nigftens fehen, keine beipflichtende Stimme gefunden hat, 
troß mancher gefunden Bemerkung, die der Jurift, Edel- 
mann und Jäger uns bietet. 

Wir find der Überzeugung, niemand würde uns der 
Leichtfertigkeit zeihen, wenn wir nunmehr, wo wir in der 
Lage find, unfer aus den Jahren 30 -45 gefammeltes Ma- 
terial von der hohen Warte des Gefamtbegriffes cogitare 
zu überblicken, uns der herrfchenden Meinung anfchlöffen 
und ebenfalls erklärten: Die Tiere D.' find bewußtlos. 
Denn dass D. den von v. Berger angedeuteten Weg in 



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— 64 — 

leinen noch ausftehenden Briefen der lefeten Lebensjahre 
zur Konftruktion des tierifdien bewugten Innenlebens ein- 
fchlagen wird, ift vollftändig ausgefchloffen (cf. Keugen 
49). Aber nein! Wir zaudern, diefe Erklärung abzugeben, 
nicht fo lehr aus dem inftinktiven Gefühle heraus, der 
Dogmatiker D. könne unmöglich unter Nichtbeachtung des 
elementarften empirifdien Materials lo — konfequent ge- 
welen lein, den Tieren das Bewugtfein zu rauben, ein 
Gefühl, das v. Berger trofe feines fehlgefchlagenen Ver- 
hiebes durch die Wärme, womit er D. zu retten fuchte, 
nur noch gefteigert hat, als vielmehr aus der durchfdila- 
genden Erwägung heraus: Weshalb hat denn D. felbft 
nicht bis zum Jahre 1645 — foweit haben wir leine Briefe 
bis jetjt verfolgt — klipp und klar getagt: Die Tiere find 
bewugt los? Und wenn er, der E r denker des Syftemes, 
nidit einmal feinem vertrauten Freunde Merfenne 
gegenüber diele Konfequenz von feinem phyfiologifchen 
Standpunkt aus gezogen hat, weshalb follten wir, feine 
Na ch denker, es tun? Und ferner! Weshalb fagt D. 
immer wieder bis zum Ermüden bruta non sentiunt sicut 
n o s , non imaginantur sicut n o s , non cogitant sicut 
nos? Sollte vielleicht diefem ominöfen refrainartigen 
sicut nos noch ein anderer als der befprodiene, ein tie- 
ferer Sinn unterliegen? Noch hat fich D. den Weg nicht 
verfperrt, noch hat er an keiner Stelle den Tieren 
das Bewugtfein überhaupt, fondern immer nur das menfeh- 
liche Bewugtfein abgefprochen, noch kann er auf feiner 
phyfiologifchen Grundlage vielleicht weiterbauen. Doch ob 
und wie? Das find die Fragen, deren Beantwortung wir 
aus den Briefen der lefeten Lebensjahre D.' erhoffen. 
Vorläufig wollen wir uns befcheiden angefichts des 
Wortes, das er fogar Merfenne zuruft (III, 544): „Ich 
fehe, dag man fich leicht irrt, wenn man Dinge 
berührt, die ich gefchrieben habe. Denn da die 
Wahrheit unteilbar ift, fo wird fie durch das 



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— 65 — 

Geringlte gefälldit, das man von ihr wegnimmt 
oder ihr hinzufügt." ° 



IV. Die Fortbildung der Lehre D.' nach 
Winter 1645/46. 

1. Die tiefere systematische Begründung des Funda- 

niental unter schied es zwischen Mensch und Tier; die 

Zertrümmerung der Vulgärpsychologie (1646). 

Obgleich D. fdion vor 1630 an feinem traite des ani- 
maux arbeitete (IV, 326, Z. 5 und I, 254, Z. 5), fo hatte 
er fleh doch noch nicht vor 1645 ex professo mit pfycho- 
logifdien Fragen befchäftigt. Elifabeth von der Pfalz 
regt ihn in ihrem Briefe vom 28. Oktober 1645 dazu an 
(IV, 322, Z. 18 ff.), und fdion am 3. November desfelben 
Jahres fihreibt D., dag er ihrem Wunfche gefolgt fei (IV, 
332, Z. 6 ff.), leine Anflehten fleh aber noch nicht genügend 
geklärt hätten. Winter 45/46 entftand dann der Tr. des 
pass. im erften Entwurf (IV, 442, Z. 13), und im Früh- 
jahr 1646 überreichte er Elifabeth das Manufkript zur 
Korrektur (IV, 404), estant une matiere que je n'auois 
iamais cy-deuaut etudiee, et dont je n'ay fait que tirer 
le premier crayon (IV, 407). Da 1646 auch noch der 
tract. de hom. entftand, fo fteht zu erwarten, dag diefe 
intenflve Befihäftigung mit pfychologifchen Fragen auch 
der Ordnung und inneren Begründung feiner Anfichten 
über die tierifchen Lebenserfcheinungen zu gute gekom- 
men ift. 

Wir fehen uns in diefer Erwartung nicht getäufcht. 
Die Jahre 1646 und 1649 fchenken uns zwei Äugerungen 
D.', die unfer grögtes Intereffe beanfpruchen und die wir 
ihrer Wichtigkeit wegen wörtlich wiedergeben. 

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— 66 — 

Der erfte Brief vom 23. November 1646 ift an den 
Marquis de Newcastle gerichtet. Er zerfällt in zwei 
von D. felbft durch Abfäfee kenntlich gemachte Teile. Der 
erfte negative Teil (IV, 573,2—575,20) führt zwei Gründe 
gegen die Annahme des Denkens oder einer vernünftigen 
Seele in den Tieren an: 

„Betreffs des Denkens oder der Vernunftfeele, wie fie 
Montagne und einige andere den Tieren zufchreiben, 
kann ich nicht Ihrer Meinung fein. Ich ftüfee mich dabei 
nicht darauf, dag die Menßhen eine unumfchränkte Herr- 
fihaft über die anderen lebenden Welen haben; denn ich 
geftehe, dag es ftärkere unter ihnen als wir gibt und 
möglicherweile folche, die mit ihren natürlichen Liften die 
fihlauften Menfchen zu täufchen imftande find. Aber ich iehe: 

1. Dag fie nur in den Handlungen uns nachahmen 
oder übertreffen, die nicht durch unlere Seele bewirkt 
find. Denn a) es kommt häufig vor, dag wir gehen und 
effen, ohne irgendwie daran zu denken, was wir tun. 
Und ähnlich wehren wir auch, ohne unlere Vernunft zu 
gebrauchen, die uns fchädlichen Dinge ab, wehren Schläge 
ab, die man uns gibt, und würden uns auch nicht hindern 
können, wenn wir zufällig fallen, die Hände vor unferen 
Kopf zu legen, obwohl wir es nicht ausdrücklich wollen. 
Ich glaube ebenfo, dag wir gehen würden wie die Tiere, 
ohne es gelernt zu haben, wenn wir keine Seele hätten; 
und man lagt, dag die, welche im Schlafe gehen, einige 
Male Flüffe durchfchwommen hätten, worin lie beim Er- 
wachen ertrunken wären, b) Betreff der Bewegungen un- 
terer Leidenfchaften, ift es, obwohl lie in uns vom be- 
wugten Denken begleitet werden, nichtsdeftoweniger 
augenfcheinlich, dag fie nicht von ihm abhängen, weil 
fie lieh oft gegen unferen Willen einftellen, und dag fie 
folglich in den Tieren fein können, ja fogar heftiger als 
in den Menfchen, ohne dag man deshalb fchliegen könnte, 
fie hätten Gedanken. 



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— 67 — 

2. Dag endlich unfer Körper keine bloge Reflexma- 
fdiine ift, fondern dag in ihm auch noch eine Seele ift, die 
Gedanken hat, von dielen beiden Tatfachen vermögen 
den Pfydiologen unter allen äugeren Handlungen nur die 
Worte oder andere Zeichen zu überzeugen, die den lieh 
darbietenden Gegenftänden angemeffen lind, ohne lieh auf 
eine Leidenfchaft zu beziehen. Ich läge a) Worte oder 
andere Zeichen, weil die Stummen in derielben Art der 
Zeichen wie wir uns der Stimme bedienen; b) dag k diefe 
Zeichen angemeffen feien, um das Sprechen der Papageien 
auszufliegen, ohne jedoch auszufchliegen das der Narren; 
denn diefes hört nicht auf, den fich darbietenden Gegen- 
ftänden angemeffen zu fein, obwohl es nicht der Vernunft 
folgt, und ich füge hinzu, c) dag dtefe Worte fich nicht 
auf eine Leidenlchaft beziehen dürfen, um nicht nur die 
Schreie der Freude und Traurigkeit und ähnliche, fondern 
ebenfo alles auszufchliegen, was den Tieren durch Dreffur 
beigebracht werden kann. Denn wenn man einer Elfter 
beibringt, ihrer Herrin, fobald fie ihrer anfichtig wird, 
guten Tag zu fagen, fo kann dies nur dadurch gefchehen, 
dag das Ausfprechen diefes Wortes die Bewegung einer 
ihrer Leidenfchaften wird, z. B. eine Bewegung des Ver- 
langens nach Speife, wenn man ihr angewöhnt hat, ihr 
eine Näfcherei zu geben, fobald fie es fpricht. Und ähn- 
lich find alle Kunftftücke, die man den Hunden, Pferden 
und Affen beibringen kann, nur Bewegungen ihrer Furcht, 
Hoffnung oder Freude, dergeftalt, dag fie fie ohne irgend 
einen Gedanken ausführen können. Alfo ift es, fcheint 
mir, fehr bemerkenswert, dag die Sprache, wenn fie fo 
definiert wird, nur dem Menfchen allein zukommt. Denn 
obwohl Montagne und Charron gefagt haben, dag es 
einen noch grögeren Unterschied gäbe zwifchen Menfch und 
Menfch, als zwifchen Menfch und Tier, fo ift gleichwohl 
noch niemals ein fo vollkommenes Tier gefunden, dag fich 
in irgend einem Punkte anderen Tieren hätte verftänd- 

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— 68 — 

lieh machen können ohne ein Zeichen, das nicht in Bezie- 
hung zu leinen Leidenfchaften geftanden hätte. Anderer- 
feits gibt es keinen fo unvollkommenen Menfchen, der 
das nicht könnte, derart, dag felbft Taubftumme befondere 
Zeichen erfinden, wodurch fie ihre Gedanken ausdrücken. 
Dies ift m. E. ein fehr ftarkes Argument, um zu be- 
weifen, dag die Urfache des Mangels einer eigentlichen 
Sprache bei den Tieren in dem Mangel einer Seele, und 
nicht in dem Mangel von Organen zu fuchen ift. Und man 
kann nicht einwenden, fie fprächen untereinander, wir ver- 
ftänden lie nur nicht. Denn wie die Hunde und die an- 
deren Tiere uns ihre Leidenfchaften ausdrücken, lo würden 
£ie ebenfogut uns auch ihre Gedanken ausdrücken können, 
aber fie haben keine." *) 

Es lägt fleh nicht verkennen, dag diefe D.fchen Aus- 
führungen die der früheren Jahre insbefondere die pa- 
rallelen des Discours durch ihre ftraff logifch f ortfdireitende 
Gedankenfolge und Fülle des empirifihen Beweismateriales 
weit hinter fleh laffen. Die Charakteriflerung der Hand- 
lungen, die gleichiam automatenhaft verrichtet werden, 
d. h. ohne dag die hierzu erforderlichen Bewegungsvor- 
ftellungen zu unleren Ichvorftellungen in Beziehung treten, 

*) Frappierend wirkt die inhaltliche und manchmal sozusagen 
wörtliche Übereinstimmung mit neueren Denkern, cf. W u n d t (Vor- 
lesungen über die Menschen- und Tierseele 1892, I a , 294): „Wir wür- 
den schon aus dem Fehlen des äusseren Merkmals der Sprache allen 
Grund haben zu schliessen, dass dem Tiere die geistigen Funktionen 
fehlen, zu denen dieses Merkmal gehört. Ist es doch kein physisches 
Hindernis, wie zuweilen geglaubt wurde, welches dem Tiere die 
Sprache versagt. Die Artikulationsfähigkeit der Sprachorgane würde 
bei vielen Tieren gross genug sein, um dem Gedanken die äussere 
Form zu geben, wenn es nicht eben an Gedanken selber gebräche." 
Desgleichen Was mann, Biol. Centralbl. 1895,624: „Hätten die 
Tiere ein wirkliches Abstraktionsvermögen, so hätten sie auch schon 
längst eine eigentliche Sprache; daraus, dass sie letztere entbehren,, 
schliesse ich somit, dass sie auch keine Intelligenz im eigentlichen 
Sinne haben." 



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— 69 — 

ilt lo fdiarf, dag nur die moderne Bezeichnung des 
„Unterbewugtfeins" für dieles unbewußte pfychifche Ge- 
fihehen fehlt. Gerade die von D. mit aller Präziflon an- 
geführten Tatfachen, dag im Unterbewugtfein auch kom- 
plizierte Vorftellungsaffoziationen vor fleh gehen, laffen 
ihn die Behauptung ausfprechen: alfo können die tie- 
rifchen Lebenserfcheinungen ohne eine bewugt denkende 
Seele erklärt werden, der er dann unter Hinweis auf das 
Fehlen einer Sprache im eigentlichen Sinne bei den Tieren 
die zweite Behauptung hinzufügt: alfo muffen fle ohne 
Seele erklärt werden. 

2. Die positive Fortbildung der Lehre D/: 
Das tierische Bewusstsein (1646). 

Noch viel mehr tritt die Fortbildung der Anflehten 
D.' hervor im zweiten Teile feines Briefes: 

„Ich weig wohl, dag die Tiere viele Dinge beffer machen 
als wir, aber ich wundere mich nicht darüber; denn gerade 
das dient zum Beweife, dag fie von Natur und durch 
Triebfedern handeln, wie eine Uhr, die uns beffer die 
richtige Zeit anzeigt, als unfer Verftand fle uns lehrt. Un- 
zweifelhaft handeln die Schwalben darin, dag fle im Früh- 
ling kommen, wie Uhren. Alles, was die Bienen zu Honig 
machen, gehört eben dahin, und die Ordnung, die die 
Kraniche im Fluge innehalten, und die die Affen in ihren 
Kämpfen beobachten — vorausgefegt die Wahrheit der- 
artiger Erzählungen; und der Inftinkt, ihre Toten zu be- 
ftatten, ift nicht befremdlicher, als der der Hunde und 
Kagen, welche die Erde aufkragen, um ihre Exkremente 
zu verfcharren, obwohl fle fie faft niemals verfcharren. 
Dies beweift, dag fie nur auf Inftinkt handeln und ohne 
dabei zu denken. Man kann nur fagen: obwohl 
die Tiere keine Handlung fegen, die uns ver- 
fichert, dag fie denken, fo kann man gleich- 



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— 70 — 

wohl, weil die Organe ihres Körpers von den 
unfrigen nicht lehr verldiieden find, mut- 
maßen, daß es irgend ein mit dielen Organen 
verbundenes Bewugtfein gibt, wie wir es in 
uns durch innere Erfahrung feftftellen, ob- 
wohl das ihre viel unvollkommener ift. (On peut 
seulement dire que, bien que les bestes ne faösent aucune 
action qui nous assure qu'elles pensent, toutesfois, & 
cause que les organes de leurs cors ne sont pas fort dif- 
ferens des nostres, on peut coniecturer qu'il y a 
quelque pensee iointe ä ces organes, ainsi que 
nous experimentons en nous, bien que la leur soit 
beaucoup moins parfajte). Zu dieler Annahme 
habe ich nur die eine Bemerkung hinzuzufügen : Wenn fie 
dächten wie wir, würden fle ebenfo audi eine unfterb- 
liehe Seele haben wie wir; dies ift jedoch nicht wahrfchein- 
lieh, weil es keinen Grund gibt, es von einigen anzu- 
nehmen, ohne es von allen anzunehmen, und weil es 
mehrere zu unvollkommene gibt, wie Auftern, Schwämme,, 
um eine foldie Annahme bei diefen gerechtfertigt erfdiei- 
nen zu lalfen." 

Die wiffenfdiaftliche Analyfe der tierifchen Handlungen 
und tierifchen „Sprache", das war der gutgezielte und 
wuchtige Doppelfchlag, womit D. im erften Teile unteres 
Briefes die Säulen der vulgären Tierplydiologie — um 
einen Wundtfdien Ausdruck zu gebrauchen — zerfchmet- 
terte und der kritiklofen Vermenfclilidiung des Tieres ein 
Ziel fetjte. Den fonnenklaren und apodiktifdi fieberen 
Ausführungen diefes eriten Teiles gegenüber befremdet 
die Unklarheit und Unficherheit, die im zweiten Teile 
herrfcht. Der mit Emphafe behauptete Safe: „Unzweifel- 
haft handeln die Schwalben, wenn Iie im Frühling kom- 
men, hierin wie die Uhren", wird gleich darauf abge- 
fchwächt: „Dies beweift, dag fie nur auf Inftinkt handeln", 
was um fo auffallender wirkt, wenn man hiermit III, 213. 



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- 71 — 

zufammenf teilt: „ich kann folche Inklinationen nur in einem 
Ding begreifen, das Denken hat, und ich teile iie fogar 
den vernunftlolen Tieren nicht zu." Vergegenwärtigen 
wir uns vollends, dag nach D.fdien Prinzipien das Be- 
wugtfein die beharrende Wefenheit, das Bleibende im 
Wedifel der modi des Denkens ilt, dag felblt das dumpfe 
Gefühl, die niedrigfte Stufe eines Minimalbewugtfeins dem 
cogitare eignet, fo könnte man angelichts der Tatfadie, 
dag D. hier — wenn auch in wohlverklaufulierten Sätjen 
und in Form einer Hypothefe (on peut coniecturer) den 
Tieren quelque pensee moins parfaite zufchreibt, fidi ver- 
fucht fühlen, an das quandoque bonus dormitat Homerus 
zu denken und unter billiger Konftatierung eines Wider- 
Ipruches — des allzeit getreuen Nothelfers — über diele 
Stelle zur Tagesordnung hinwegzugehen. 

Aus dielen oder ähnlichen Erwägungen heraus fcheint 
denn auch, wenigftens foweit wir iehen — die ganze D.- 
Literatur über diele Stelle hinweggefchlüpft zu fein; weil 
man fidi keinen Vers darauf machen konnte, glaubte man 
Iie vornehm ignorieren zu dürfen. Und doch lölen fidi 
u. E. vom Gefiditspunkte der* philolophifihen Entwicklung 
D.' aus betrachtet, die fcheinbaren Unftimmigkeiten diefes 
passus, ja fie laifen uns einen intereffanten Einblick tun 
in die Werkftatt des D.fdien Geiftes, der an unferer Stelle 
die neuen Ergebniffe feiner empirifchen Forfchungen mit 
dem feften Syftem feiner Pfychologie organifdi zu verbin- 
den fucht. 

Das erfte Anzeichen einer Wandlung oder beffer ge- 
tagt einer Entwickelung kann man, wenn man der Kon- 
jektur Adams und Tannerys beipflichtet, dag D.' Brief 
332 an Buytendijck in das Jahr 1643 zu verlegen ift, 
in den Worten D.' finden (IV, 64): Tertia quaestio est de 
motu, quem credis me pro anima brutis assignare. Sed 
non memini me unquam scripsisse motum esse brutorum 



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— 72 - 

animam. Dieler Ablehnung einer extremen Konfequenz 
aus leiner mechaniftifthen Erklärung der tierifdien Lebens- 
erfdieinungen — fo wird es B. verstanden haben — fügt 
er an: neque meam de hac re sententiam aperui uijd fegt 
darauf ausweichend auseinander, dag er mit der heiligen 
Schrift das Blut für die Seele der Tiere hält. Angefldits 
der Kontroverfe D.' mit Froidmont erfdieint ein Ge- 
dächtnisirrtum D.' ausgefchloffen, — hat er diefem doch 
unter Berufung ebenfalls auf Deut. 12 dielelbe Antwort 
erteilt — und deshalb können diele Worte als ein Selbft- 
zeugnis D.' für das Unfertige und Unzulängliche feiner 
bisher geäußerten Anflehten aufgefaßt werden. In Anbe- 
tracht ferner des Umftandes, dag unmittelbar nach dem 
Erfiheinen des Discours die Angriffe feiner Feinde und die 
Anfragen und Einwendungen leiner Freunde fleh fortge- 
legt auf dielen einen Punkt bezogen: brutum non cogitat, 
dürfte die Annahme nicht auf Widerftand flogen, dag auch 
D. die Augen darüber aufgegangen find, dag hier die 
Achillesferfe feines Syftemes gefudit wurde. Diefe Erkennt- 
nis vermochte nun freilich nicht, D. in der felfenfeften 
Überzeugung von der Richtigkeit feines Syftems wankend 
zu machen, aber die Kritik "der D.fchen Äugerungen aus 
den Jahren 37—42 und der objektive Befund des geho- 
benen Materiales (f. III, 1) geben der Vermutung Raum, 
dag er feine bisherigen Äugerungen einer Nachprüfung 
und Ergänzung für bedürftig hielt. Nur aus diefem Ge- 
dankengange heraus vermögen wir uns fein neque meam 
de hac re sententiam aperui aus dem Jahre 1643 zu er- 
klären. 

Doch verzichten wir darauf, diefe immerhin unliebere 
Andeutung verwerten zu wollen. Unfere Stelle hier, No- 
vember 1646 gefchrieben, alfo nach Ausreifung des cogi- 
tare Begriffes, nach Inangriffnahme pfychologifcher Studien, 
fagt klipp und klar, was wir früher niemals gehört 
haben: D. gibt die Möglichkeit des tierifdien B e- 



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- 73 — 

wugtfeins zu. Gewig bedeutet dieles Zugeständnis an 
fleh wenig, es !diliegt die Unbewugtheit der tierifchen Le- 
benserfcheinungen nicht aus und verfdiafft uns keine Ge- 
wigheit; dennoch ift es im Munde D.' von groger Trag- 
weite: es bedeutet nicht mehr und minder als die prin- 
zipielle Aufgabe der karteflanifdien Reflexmafdiine, ein 
Abbiegen von der extremen Reflextheorie. 

D. ift fldi der Gefährlichkeit des neuen Schrittes voll 
bewugt. Daher fein augenfiheinliches Streben, leine Ge- 
danken auf einer Linie zu halten, die in Konlequenz fei- 
nes cogitare nicht zum Tiere als Miniaturmenfdien hinführt. 
Es gewährt einen eigenen Reiz, D. hier in der Werk- 
ftätte feines Geiftes belaufthen zu können. In dem Be- 
ftreben, feinen neuen Gedanken eine Form zu geben, 
ringt er mit dem Ausdrucke, vermag aber das fpröde 
Material der Sprache nicht zu meiftern und leinen Ideen 
adäquat zu geftalten. Nach wie vor will er trog der An- 
nahme eines tierifihen Bewugtfeins an der mechanifdi-kau- 
falen Betraditungsweife fefthalten, und deshalb ftellt er 
zwar die Schwalben den Uhren gleich, greift aber un- 
mittelbar darauf auf den „Inftinkt" der Schwalbe zurück, 
einen Begriff, den er fdion längft in die Rumpelkammer 
feiner Tierpfychologie geworfen hatte. Vorfichtig wechfelt 
er darauf den Standpunkt. Hat er bisher das Tier als 
eine Summe von Nervenbahnen mit Endapparaten be- 
trachtet, deren Reizung rein mechanifih die Reflexhand- 
lungen auslöft, fo geht er jegt von dielem feinen phyflo- 
logifchen zum erkenntnistheoretifihen Standpunkt über. 
Diefer Frontwedifel macht es ihm möglich, die abfolute 
Gewigheit des Ich bezüglich feines eigenen Bewugtfeins 
gegenüber der mittelbaren Gewigheit eines jeden anderen 
Bewugtfeins auszufpielen: Des eigenen Bewugtfeins, das 
auf rein fubj. Erfahrung beruht (que nous experimentons 
en nous), find wir verfldiert (assurer), ein jedes andere 
Bewugtfein muffen wir erfchliegen und können es des- 



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- 74 — 

halb nur mutmaßen (coniecturer). l ) Nachdem er lidi fa 
den Rücken gedeckt und die Möglichkeit, auf den rein 
phyfiologifchen Standpunkt-zurückzutreten, fleh vorbehalten 
hat — betont doch auch Ziegler (Theoretifches zur Tier- 
pfydiologie und vergleichenden Neurophyflologie, Biol. 
Zentralbl. 1900), daß das Bewußtfein auf rein lubjektiver 
Erfahrung beruhe und bei den Tieren nicht ohne weiteres 
vorausgefefet werden dürfe, da alle Merkfähigkeiten ohne 
Bewußtfein vor fleh gehen könnten, und will auch Bethe 
nur dort „pfyehifihe Eigenfchaften annehmen, wo wir durch 
Tatfachen gezwungen werden" — fucht er unter vor- 
fichtiger Anwendung des Analogief chluf f es (ä 
cause que les organes de leurs cors ne sont pas fort 
differens de nostres) von außen her an die Erscheinungen 
des Tierlebens heranzugehen. 

Um in Zukunft dem Vorwurfe, das Tierleben „in 
ewige Nacht getaucht" zu haben, mit dem Hinweife be- 
gegnen können, daß die Bewegungsphänomene des tie- 
rifchen Nervenfyftemes auch nach den Prinzipien feiner 
Philofophie mit Bewußtfeinsvorgängen verbunden fein 
könnten, ift D. in erfter Linie bemüht, eine möglidift hohe 
Scheidewand zwifchen tierifchem und menfihlichem Bewußt- 
fein aufzuftellen. Deshalb nennt er das tierifche Bewußt- 
fein nicht pensee fchlechthin, fonder abfihwächend „quelque" 
pensee, pensee „beaueoup moins parfaite" und zwar nicht 
ejusdem generis, denn er fügt, um trotj vorhandener 
wefentlicher Übereinftimmung der Organe mit den 



*) v. B e r g e r (15) schreibt : W D. lässt unerwähnt, dassdie fremde 
Seele nicht Gegenstand der eigenen inneren Erfahrung ist, dass ich 
auf ihr Dasein schliesse und daher das est nicht mit metaphysischer 
Gewissheit weiss, wie das sum. Aber unwillkürlich liess er die 
Evidenz des unmittelbar erkannten sum auch dem erschlossenen est 
zugute kommen." Diese Ansicht findet nicht nur in unserer Stelle 
explicite ihre Widerlegung, sondern sie widerstreitet auch dem ganzen 
Geiste des Systems des D. 



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— 75 — 

menfdilidien (ne sont pas fort diff erens) j e g 1 i dl e* 
Gleichwertigkeit des Bewußtfeins abzulehnen, 
die Bemerkung hinzu: „Wenn fle dächten wie wir, 
würden fle auch eine unfterblidie Seele haben wie wir." 
Ja er macht logar den Verfuch, feinem tierifihen Bewußt- 
fein ein politives Merkmal beizulegen, indem er e& 
iointe ä ces organes nennt. Augenfcheinlich verfteht er 
hierunter die innerliche und wefentliche Gebundenheit des 
tierifchen Bewugtleins an die Materie, wie aus der kurz, 
vorher (IV, 573, Z. 24) gegebenen Charakteriftik des 
m e n f ch 1 i ch e n Bewugtleins erhellt , das untere Be- 
wegungen zwar begleitet (accompagner), aber ihnen 
auch felbftändig gegenüberftehen kann (ils souvent 
ne dependent pas d'elle). Freilich genügt dieles Merkmal 
zur genauen Beftimmung des D.Ichen Tierbewußtleins 
nicht, was in Anbetracht des Umftandes, dag wir es hier 
mit den legten kaum bemerkbaren Ausläufern feiner Phi- 
lofophie zu tun haben, fowie mit einem Gegenftande, den 
wir nach Anficht moderner Forfiher wohl nie erfahren 
werden, (Uexküll, Über die Stellung der vergl. Physio- 
logie zur Hypothefe der Tierfeele, Biol. Zentralbl. 1900, 
499, auch Wasmann in feinem Paderborner Vortrag am 
3. III. 1905), nicht weiter verwunderlich erfcheint. Vielleicht 
will D. dem Tiere das Selbftbewugtfein im engeren Sinne 
oder die Unfterblichkeit damit abftreiten, vielleicht auch, 
dag es von innen heraus wirken könne. 1 ) Bei der noch 
vorhandenen Unklarheit der Sachlage verzichten wir vor- 
läufig auf die immanente Kritik der D.fchen Hypothefe. 



l ) Anklänge finden wir bei Fries (N.K. d. V., Heidelberg 1807,. 
1*, 270): „Über die reine Rezeptivität, welche dem Tiere allein zu- 
kommt, erhebt sich der Mensch in künstlicher Selbstbeobachtung, 
welche es ihm ermöglicht, sein eigenes Leben zu wiederholen und 
dadurch zur Vorstellung des Ich zu gelangen." Auch bei Paulsen 
(Einl. i. d. G. d. Ph., Berlin 1901, 161): „Selbstbewusstsein im eigent- 
lichen Sinne hat nur das Ich als geschichtliches Wesen. So etwas 



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— 76 — 

3. Die Unbeweisbarkeit der Bewusstlosigkeit 
der Tiere (1649), 

Zum legten Male ergreift D. in unlerer Angelegenheit 
•das Wort auf Veranlaffung des Engländers Heinrich 
Morus. Unbekannt mit der legten Entwicklung des D. 
griff dieler die internecina et iugulatrix sententia des 
Discours aus dem Jahre 37 an (V, 243 f.) und tadelte, quod 
uno quasi ictu Universum ferme animantium genus vita 
ausit sensuque spoliare, in marmora et madiinas vertendo. 
Er verweift auf die pfydiifdien Fähigkeiten gewiffer Tiere 
und legt dann den Finger in die offene Wunde des D.fdien 
Syftemes: Sed video plane, quid te huc adegit, vt bruta 
pro madiinas habeas: Immortalitatis vtique animarum 
nostrarum demonstrandae ratio, quae, cum supponat 
corpus nullo modo cogitare posse, concludit, ubicumque 
est cogitatio, substantiam ä corpore realiter distinctam 
adesse opportere, adeoque immortalem. Vnde sequitur, 
bruta, si cogitent, substantias immortales sibi annexas 
habere. Sein Rat geht fdilieglidi dahin, D. möge mit 
Pythagoras, Plato u. a. lieber den Tieren die Unfterblidi- 
keit zufchreiben, als bei feiner mit den Tatfadien unver- 
einbaren und bisher unerhörten Theorie verbleiben. 

D. holt in feiner Antwort vom 5. Februar 1649 weit 
aus und rollt nodht einmal die ganze Frage imZufammen- 
hange mit den prinzipiellen Gefiditspunkten feines Syftemes 
auf (V, 275 ff.): 

„Aber an kein Vorurteil und wir mehr gewöhnt, als 



werden wir den Tieren nicht zuschreiben, auch das klügste Tier 
könnte seine Lebensgeschichte, nicht erzählen. Ihr Seelenleben wird 
•dem ähnlich sein, das wir in uns unterhalb des selbstbewussten 
Denkens und Wollens antreffen. Es wird in allmählicher Abstufung 
•die Vorstellungsweise immer mehr verschwinden ... bis schliesslich 
als Inhalt des Seelenlebens nichts als ein momentanes Triebgefühl 
übrig bleibt, das durch die Berührung mit der Umgebung ausge- 
löst wird." 



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— 77 — 

an das, wovon wir von Jugend auf überzeugt find, daß 
nämlidi die lebenden Tiere dächten. — Kein Grund zwingt 
uns freilich zu diefer Annahme, es fei denn, dag wir auf 
Grund der Beobachtung, daß fehr viele Glieder der Tiere 
in der äußeren Geftalt und den Bewegungen fleh von den 
unteren nicht fehr unterfiheiden, und des Glaubens, es fei 
nur ein Prinzip jener Bewegungen in uns, nämlich die 
Seele, die zugleich den Körper bewegte und dächte, nicht 
daran zweifeln, irgend eine lolche Seele (aliqua talis anima) 
in ihnen zu finden. 

Nachdem ich aber bemerkt hatte, daß zwei verfihie- 
dene Prinzipien unterer Bewegungen auseinander zu 
halten feien, nämlich 1. ein mechanifches und körperliches, 
das nur von der Kraft der Lebensgeifter und der Geftal- 
tung der Teile abhängt und körperliche Seele ge- 
nannt werden kann und 2. ein unkörperliches,, 
nämlich der Geift oder jene Seele, die ich als denkende 
Seele definiert habe, da habe ich forgfältiger unterfucht, 
ob von dielen beiden Prinzipien die tierifihen Bewe- 
gungen veruriacht würden, oder nur von einem. Und weil 
ich klar erkannte, daß alle nur von dem Prinzip abhingen, 
das körperlich und mechanifch ift, habe ich es als f icher 
und bewiefen erachtet, es könne auf keine Weife von uns 
bewiefen werden, es fei in den Tieren irgend eine den- 
kende Seele. Und ich halte mich nicht bei den Schlau- 
heiten und Liften der Hunde und Füchfe auf, noch bei 
anderem, was die Tiere aus Hunger, Brunft oder Furcht 
tun. Denn dies alles läßt fleh m. E. als allein von der 
Geftaltung der Glieder ausgehend erklären." 

So fehr D. fleh bemüht, diefe feine Ausführungen un- 
verfänglich und denen des Discours gleichförmig zu ge- 
ftalten, wovon fein Gegner ausgegangen, fo kann es dem 
mit dem Briefe an den Marquis v. Newcastle Ver- 
trauten nicht entgehen, daß hier durch gefihickte Gegen- 
überftellung zum prineipium incorporeum ein prineipium 



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— 78 — 

plane mechanicum . et corporeum eingefihmuggelt wird, das 
tiie Ausführungen des Discours nicht kennen. Und wenn 
er auch am Schluife dieles Abfdinittes fleh wieder an- 
heifchig macht, alle tierifchen Lebenserfdieinungen a sola 
membrorum conformatione profeeta zu erklären, fo ver- 
mag er fleh durch diefe Vertufchungspolitik nur vor einem 
formellen Widerruf feiner Anflehten aus dem Jahre 
1637 zu retten; denn das prineipium, quod a sola spiri- 
tuum vi et membrorum conformatione dependet, alfo 
nicht damit identifdi ift, und dem er fleh nicht fcheut, den 
verfehmten Namen „anima" corporea beizulegen, ift, zu- 
mal wenn man es auf dem Hintergrunde des quelque 
pensee, moins parfaite, iointe ä ces organes betrachtet, 
eine dem Discours fremde, ja widerfprechende 
Erfcheinung. 

Sollte jemandem diefe Interpretation zu kühn er- 
fcheinen, den bitten wir vorurteilslos die nachfolgenden 
fein abgewogenen und geradezu programmatifchen Aus- 
führungen D.' zu prüfen: 

„Obgleich ich es aber für eine ausgemachte Sache 
halte, dag nicht bewiefen werden kann, dag irgend ein 
(sc. menfehliches) Bewugtfein in den Tieren ift, fo glaube 
ich deshalb nicht, es könne bewiefen werden, 
dag überhaupt kein Bewugtfein (sc. in ihnen) 
vorhanden fei, weil der menfdiliche Verftand ihre 
Herzen nicht durchdringt. (Quamvis autem pro demon- 
strato habeam, probari nonposse aliquam esse in brutis 
cogitationem, non ideo puto posse demonstrari null am 
esse, quia mens humana illorum corda non peruadit.) 
Aber indem ich prüfe, was in diefer Sache am meiften 
wahrfcheinlich (maxime probabile) ift, fehe ich keinen Grund, 
der fleh für ein (sc menfehlich bewugtes) Denken der 
Tiere ins Feld führen lägt, als den, dag es, weil fie 
Augen, Ohren, Zunge und die übrigen Sinnesorgane haben 
wie wir (organa sicut nos), wahrfcheinlich (verisimile) ift, 



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— 79 — 

fle empfinden auch wie wir (sentire sicut nos); und daß, 
weil in unlerer Weile zu empfinden das (sc. men fehl ich 
bewußte) Denken eingefdilolfen iß, auch ihnen ein ähn- 
liches (sc. bewußtes) Denken (similem cogitationem) 
zuerteilt werden muffe. Da dieler Schluß auf der Hand 
liegt, lo hat er den Verftand aller Menfchen von frühefter 
Jugend gefangen gehalten. Es gibt aber andere, viel 
zahlreichere und ftärkere Gründe, die aber nicht allen fo 
zugänglich find, die uns vom Gegenteil völlig überzeugen. 
Und unter ihnen behauptet der leinen Plaß, daß es nicht 
fo wahrfcheinlich ift (non tarn probabile), daß alle Würmer, 
Mücken und die übrigen Tiere mit einer unfter blichen 
Seele begabt feien, als daß fle Mafchinen gleich (machinarum 
instar) fleh bewegten." 

Wir ftehen nicht an, in dielen Worten abermals eine 
Verfchiebung der D.fchen Anflehten gegenüber dem Stand- 
punkt vom 23. November 1646 zu konftatieren. Damals 
vertrat er noch die Bewußtloflgkeit der Tiere wenigftens 
als die wahrßheinliehere Anficht, wenngleich er ein tie- 
rifihes Bewußtfein als möglich annahm; heute, am 5. Fe- 
bruar 1649, lagt er mit dürren Worten: Die Anficht, 
die den Tieren jegliches Bewußtfen abfpricht, 
ift unbeweisbar! Seine folgenden Ausführungen, auch 
die drei Gründe, die wir als bekannt übergehen (V, 277 f.), 
wenden fleh nur gegen eine unkritifche, über- 
triebene Anwendung des Analogiefihluffes, die weiter 
geht, als die Tatfachen es erfordern, und zum Schlüffel 
des bewußten menfehlichen Denkens greift, ohne fleh 
Rechenfihaft darüber gegeben zu haben, ob das geheim- 
nisvolle Schloß des „körperlichen und mechanifihen Prin- 
zips, das auch körperliche Seele genannt werden kann," 
fleh mit einem minder kunftvollen Schlüffel öffnen läßt; 
fle wenden fleh aber — in faktifiher Übereinftimmung mit 
den Worten vom 23. November 1646 — nicht gegen 
die Berechtigung des Analogief chluff es als 



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— 80 — 

loldien. Vereinigen wir beide Briefe, fo können wir 
lagen: Für D. gibt es jegt drei Möglichkeiten, die tatfäch- 
lichen Erfdieinungen des Tierlebens zu erklären: 1. Die 
Annahme eines menfihlich bewußten Denkens in den 
Tieren: Diele naive, für den gewöhnlichen Mann wahr- 
fcheinliche Anficht, verwirft der Denker D. und hat fie 
von jeher an verworfen; 2. die Annahme eines rein 
mechanifchen Verlaufs der tierifchen Lebensphänomene bei 
völliger Bewugtlofigkeit: Diefe Meinung hat D. niemals 
ausdrücklich als ficher und bewielen angefehen, 
auch nicht 37 — 42, ihr von 46—49 explicite, vorher impli- 
cite als wahrfcheinlich zugeneigt, fie 49 explicite als 
unbeweisbar abgelehnt; endlich 3. die zwifihen dielen 
beiden Extremen per excessum und per defectum liegende 
mittlere: Die Annahme eines eigenen tierifihen Bewugt- 
feins: fie taucht auf 46 als probabel und es wird mit den 
Organen innerlich und wefentlich verknüpft, ift alfo auch 
mit deren Funktionen rein mechanifih-kaufal verlaufend 
und erklärbar; es erfiheint 49 gegründet in dem rein 
mechanifchen, nur von der Gliedergeftaltung abhängigen 
Prinzip der körperlichen Seele. Da nun der Kampf gegen 
das brutum non cogitat sicut nos der rote Faden in allen 
D.fchen Ausführungen ift und das entgegengefegte Extrem 
jegt als unbeweisbar gilt, fo bleibt für die dritte Möglich- 
keit die Probabilität von 46 nicht nur beliehen, fondern 
fie wird — auch wenn D. diefen Schlug nicht expressis 
verbis zieht — zur sententia probabilior. 

Unter diefem Gefichtswinkel mug auch der Schlug- 
paffus unteres Briefes betrachtet werden: 

„Die übrigen Gründe, die den Tieren das Denken 
abfprechen, übergehe ich der Kürze wegen. Ich möchte 
jedoch bemerken, dag ich fpreche über (das menfchliche, 
bewugte) Denken, nicht über das Leben oder die Sinnes- 
wahrnehmung: Denn das Leben fpreche ich keinem Tiere 
ab, da ich es in der blogen Wärme des Herzens beftehend 



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— 81 — 

annehme; auch leugne idi nicht die Sinnesempfindung, fo- 
weit fie vom körperlichen Organe abhängt. Und lo ift 
meine Anfleht nicht fo lehr graulam gegen die Tiere als 
vielmehr gütig gegen die Menfchen, die nicht dem Pytha- 
goräifihen Aberglauben ergeben find, indem fie diefe ja 
von dem Verdachte eines Verbrechens freilpricht, fo oft 
fie Tiere eilen oder töten." 

Der Höhepunkt unferer Kontroverfe ift erreicht oder 
vielmehr fchon überfihritten. D., der nach den ein- 
gehenden Studien foeben erft den Boden der rein phy- 
fiologifihen Unterfuchungsmethode mit ihrer einleitigen 
Schlugfolgerung: das Tier ift nichts anderes als eine Re- 
flexmafihine, verfallen hatte, der fleh auf Grund des Ana- 
logiefchluffes zur Anficht von der Möglichkeit eines tie- 
rifchen Bewugtfeins und der Unbeweisbarkeit der Bewußt- 
lofigkeit der Tiere durchgerungen hatte, fand in Morus 
keinen ebenbürtigen Gegner, der den vorfichtig zurück- 
haltenden und feinen Diftinktionen D.' hätte folgen können. 
Konftatiert doch Morus von fich felbft, dag er zu dem 
Standpunkte D.': ähnliche Wirkungen durch ähnliche Ur- 
fachen zu erklären, aber nur infoweit, als dief elben 
in den tierifehen Lebenserfcheinungen hervortreten, fich 
nicht emporfihwingen kann und nach wie vor in der 
kritiklofen Vermenfchlichung des Tieres befangen ift: ab 
huiusce enim praeiudicii — sc. quod nobis ab ineunte 
aetate persuasit, bruta animantia cogitare — laqueis 
sentio me expediri non posse ullo modo (V, 309). Er 
giegt die Lauge bitteren Spottes über die verfprochene 
mechaniftifihe Erklärung aller Lebenserfcheinungen, indem 
er ironifih ausruft V, 310: Laeta sane ac iueunda provin- 
cia! und bemüht fich, D. noch weiter auf den Boden der 
vergleichenden Pfychologie hinüberzuziehen, indem er an 
den zweefanägigen Gebrauch der Sinnesorgane und die 
Akkomodationsfähigkeit der Tiere erinnert („Maximum meo 
iudicio argumentum est, quod tarn subtiliter sibi prae- 

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— 82 — 

caueant et prospiciant), wohin ihm natürlich D., der den 
Wert derartiger Schlußfolgerungen sub specie der un- 
mittelbaren Gewißheit des eigenen Bewußtfeins kennt, 
nicht folgt. Mit der entfcheidenden Stelle: non puto 
posse demonstrari, nullam esse in brutis cogitationem 
weiß M. gar nichts anzufangen, desgleichen nicht mit 
der klaffifihen Unterfuchung der Grade der Probabilität 
der verfihiedenen Anflehten, die durch die Schale der 
äußeren Erfcheinung zum Prinzip und zur inneren Urfache 
der geheimnisvollen tierifihen Lebensvorgänge dringen 
follen. Deshalb prallen denn feine fpäteren Einwände (V, 
310 f.) ab wie Axthiebe an einem Stahlpanzer. 

Auf der anderen Seite muß man jedoch, um Morus 
nidit unrecht zu tun, wohl im Auge behalten, daß die 
Ausdrucksweife D.' an und für fich, fein Beftreben, fich mit 
den im Discours geäußerten Anflehten nicht in Konflikt zu . 
bringen, die infolge der noch nicht abgefchloffenen Entwicke- 
lung vorhandene Unklarheit im Kopfe D.', endlich die aus 
den Wurzelgedanken des Syftems felbft fich ergebende 
Notwendigkeit, ein Bewußtfein des Tieres aus der Materie 
heraus gleichfam als ihre organifche Funktion zu kon- 
ftruieren, das audi nicht die geringfte Ähnlichkeit mit den 
niederen Stufen und modis des menfehlichen cogitare haben 
durfte, ich fage, daß alles dies wohl geeignet war, Miß- 
verftändniffe hervorzurufen und eine erfprießliche Annähe- 
rung der beiden Philofophen zu verhindern. Und fo ver- 
lief denn die weitere Kontroverfe wie das Hornberger 
Schießen, jeder Gegner blieb auf feinem Standpunkt flehen. 
Die Nachgefechte entbehren des Intereffes und liefern 
nichts Neues (V, 309—311 Morus an D. am 5. März 1649 
und V, 344 f. D. an Morus am 15. April 1649). 

D.' Entwicklung in der Erklärung der tierifihen Le- 
benserfiheinungen hat übrigens, wie zum Schluß bemerkt 
fei, ihr Analogon in der Philofophie der Griechen. Sie- 
beck führt in feiner Gefchichte der Pfychologie, (Gotha 



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— 83 — 

1880, -I 1 , S. 82—84) des nähereu aus, wie Diogenes von 
Apollonia in bewußter Reaktion gegen den Dualismus des 
Anaxagoras den alten unreflektierten Hylozoismus in einer 
durch neue empirifche Tatfachen geftüßten Fällung wieder 
aufgeftellt hat. Den Grund findet er S. 83 darin: „Das 
Geiftige hatte fleh neben dem Stoff fihon zu deutlich vor 
Augen geftellt; es mußte alfo, auch wenn man auf der 
alten Grundlage flehen blieb, ausdrücklich hervorgehoben 
und lo mit denselben in ein beftimmtes Verhältnis gefeßt 
werden. Freilich kann es dabei nicht etwa im Sinne der 
Atomiftik als ein Teil der Materie aufgefaßt, noch auch 
mit Anaxagoras überhaupt von derfelben getrennt 
werden, denn beides war mit dem Welentlichen jener 
alten Auffaffung unverträglich." In einer ähnlichen 
Lage befand fldi D. nach 1645/46 fich felbft gegenüber 
auf dem Gebiete der T i e r plychologie. Wie er fleh aus 
-dem Dilemma herausgezogen, hat unlere Darftellung zu 
zeigen gefucht: denfelben Weg hat aber auch Diogenes 
von Apollonia, zwifchen dem voüq des Anaxagoras und dem 
ionifchen Prinzip vermittelnd nur auf dem Gebiete der 
anthropologifdien Plychologie — darin belteht der Unter- 
fchied — , eingefchlagen : „Darum wird hier (S i e b e ck 1. c. 83) 
dem Anaxagoras zwar eine Konzeffion gemacht, lofern das 
Geiftige als weientliche Eigenfchaft des Stoffes von vorn 
herein mit diefem zugleich fein foll: alles Körperliche muß 
als folches Intelligenz befißen . . . Dagegen wird nun aber 
auch, was bisher nicht gefchehen war, ein Wefensunter- 
fchied des Geiftes als folchen vom Körperlichen ausdrück- 
lich geleugnet und das Denken als eine Funktion betrach- 
tet, die dem leßteren von feinem eigenen Wefen aus inne- 
wohnt; der fefbftändige fubftantiell gedachte vo£<; des 
Anaxagoras wird zu einer dem Körperlichen inhärierenden 
•vorjote herabgefeßt." Wir fehen alfo : Diogenes und 
D. haben diefelben Motive und diefelbe Me- 
thode, D. nur auf einem kleineren pfycholo- 

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84 



gifchen Gebiete. Die fich aufwerfende Frage, ob D.. 
feinen Vorgänger Diogenes gekannt hat, wird fleh wohl 
nicht beantworten laffen; Deraokrit wird öfters, Anaxa- 
goras und Diogenes von Apollonia nie von ihm zitiert. 



V. Schlussbemerkungen. 

Das Ergebnis unterer Unterfuchung ftellen wir nach 
dem Vorgange D.' examinando quidnam sit hac de re 
maxime probabile (V, 277) in folgender Tabelle zufammen. 

D.' Entwicklung in der Frage der Erklärung der 
tierischen Lebensvorgänge. 



x. Rein physio- 
logischer Stand- 
punkt 



2.Wech- 
sel des 
Stdpts. 



3. Standpunkt der ver- 
gleichenden Psychologie 



Thesis: 



1630 — 1642 



1645/46 



a) 23. Nov. 
1646 



b) 5. Februar 
1649 



1. Brutum prineipium in- 
corporeum habet, mentem 

sive animam = subst 

cog. [brutum cogitat sicut 

nos] 



2. Brutum nullam cogi- 
tationem habet 



3. Brutum habet „quelque 

pensee moins parfaite 
jointe aux organes" sive 
prineipium corporeum a 
conformatione membro- 
rum dependens (= ani- 
mam corpoream) 



sententia 

plane impro- 

babilis 



sententia 
probabilior 



sententia 

minus pro- 

babilis 



4. Brutum machinae 
instar se movet 



6 

O 

fr 
a 



bD 



bog 

JC r u 
<L> c 

c ü 

<u.S2 
1-2 

CO 

c 



[sententia pro- j +* 
j batylissima | ^ 



plane im- 
probab. 



probabilior 



probabilis 



probabi- 
lissima 



plane 
im probab. 



minus proba- 
bilis, quia in- 
demonstrab. 



probabilior 



probabi- 
lissima 



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— 85 — 

Die allmähliche Abftufung in der Wahrscheinlichkeit 
>des Safees 2 Iteht in den einzelnen Etappen des D.fchen 
Denkens im kauialen Zufammenhange mit der ituf enweife 
auf f teigenden Wahrfcheinlidikeit des Safees 3. Die beiden 
extremen Sätje 1 und 4 werden von den Schwankungen 
der beiden mittleren nidit berührt, fie find die ruhenden 
Pole in der Erfcheinungen Flucht. 

Zum Sdiluffe möchten wir die drei Hauptergebniffe 
unlerer Unterluchung fdiarf hervortreten laffen. 

1. Verdient herausgehoben zu werden, dag die rein 
phyflologifdie Unteriuchungsmethode, die D. bis 46 an- 
wandte, ihn nicht über die Reflexmafihine hinausführte 
und auch nidit hinausführen konnte. Von dem Zeitpunkt 
ab, wo er den Analogiefchluß anwendet, den er vorher 
ausdrücklich verworfen hat, und fleh auf den Boden der 
vergleichenden Pfychologie ftellt, gelingt es ihm, durch die 
Schale cjer äußeren Erfcheinung zum Bewugtfein der Tiere 
vorzudringen. Nicht das ift die Hauptlache, dag er zu 
liefern immerhin kümmerlichen Refultate gekommen ift, 
londern darauf ift Gewicht zu legen, dag D. nach den ein- 
gehenden phyfiologifchen und pfychologifihen Studien des 
Winters 45/46 das Ungenügende und Einfeitige feines 
eriten Standpunktes eingefehen hat. Wir flehen nicht an, 
in dem Nachweis des Wechfels der Unterfuchungs- 
methoden, der Anwendung des Analogiefihluffes, das 
wichtigfte Ergebnis der vorliegenden Arbeit zu erblicken. 
Eine Parallele mit Wundt und Lloyd Morgan, die 
-einen ähnlichen Entwicklungsgang zur mittleren Anfleht 
nur vom entgegengefegten Extrem der Vulgärpfychologie 
^durchmachten, wollen wir nur andeuten. 1 ) 

*) Wundts Stellungnahme gegen die Vulgärpsychologie findet 
^sich in der 2. Aufl. seiner „Vorlesungen ti. d. Menschen- und Tierseele" 
(1892), S. 370 und in der 3. Aufl. (1903), S. 396. Lloyd Morgan hat 
rseine dem Denkvermögen wenigstens der höheren Tiere günstige 
~ Ansicht von 1894 (1. Aufl. seiner Introduction to comparation psycho- 



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— 86 — 

2. Möchten wir darauf aufmerkfam machen, daß D.,. 
auch nachdem er die Möglichkeit des tierifchen Denkens 
zugegeben hat, an der überragenden Qualität des menfih- 
lichen Denkens feftgehalten hat. Nach wie vor belteht 
eine vera differentia zwifchen Menfih und Tier. Das Ver- 
mögen des reinen leidenfihaftslofen Denkens, wie es fleh 
in der menfehlichen Sprache offenbart, bleibt die unter- 
fcheidende Grundeigentümlichkeit des Menfihen. Die An- 
nahme eines tierifihen bewußten Denkens verleiht dem 
Tiere keine inneren Kräfte, keine inneren differenzierenden 
Eigenfihaften; feine qualitative Minderwertigkeit erhebt es 
nicht über die übrigen mechanifch ausgelöften körperlichen 
Reize. Mit Recht kann v. Berg er im Geilte D.' bei 
einem folchen „Denken", einer folchen „anima corporea" 
die Frage ftellen (14): „Ift eine Seele ohne Unfterbücb- 
keit, ohne Freiheit, ohne Vernunft, ohne die Fähigkeit, 
an ihr cogito" — cogitare möchten wir lieber lägen — 
„das cogito ergo sum zu knüpfen, überhaupt noch eine 
Seele?" Die Worte cogitatio, anima, die er feit 164fr 
auch auf das Tier anwendet, dürfen nicht aequivok gefaßt 
werden, wie er fie vom Menfihen ausfagt; das hieße ein 
willkürliches Spiel mit Worten treiben und ganz vergelten,, 
daß bei der Unvollkommenheit der Technik fprachlicher 
Daritellung, Gedanken, zumal neu aufkeimende, fidi nie^ 
ganz wahr wiedergeben laffen. 

3. Endlich ift es bezeichnend für die Kühnheit und 
zugleich Nüchternheit des D.fchen Denkens, daß es felblt 
das tierifche bewußte Denken, mechanifih kaufal er- 
klären will. Wie D. in der analytifihen Geometrie zuerft: 
das Beftreben gezeigt hat, die qualitativen Uriterfihiede- 



^ogy) in der 2. Aufl. (1903), S. 307 offen aufgegeben. Näheres- 
hierüber s. Wasmann, Instinkt und Intelligenz im Tierreich, Frei- 
burg 1905*, S. 3—5 und 227 f. — Diese Mitteilungen verdanke ich der.- 
Güte des Herrn P. E. Wasmann (Luxemburg-Bellevue). 



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— 87 — 

der Raumgebilde durch die Verfchiedenheit rein quanti- 
tativer Beltimmungen zwifdien Geraden auszudrücken und 
die Bewegungsformen auf Grögenbeziehungen zurückzu- 
führen, lo luchte auch er zuerlt den tierißhen Organismus 
als Mechanismus und feine Lebenserfcheinungen — ein- 
fchlieglich des Bewugtfeins — in exakt und ftreng gefeg- 
mägig verlaufenden Bewegungsgrögen zu erf allen. So« 
wollte er, was er im Menßhen wegen der Wechfelwirkung 
zwifihen den unabhängig von einander exiftierenden Sub- 
ftanzen, Körper und Geift, nur bis zu einem gewiffen 
Punkte durchführen konnte, die Tierphyfiologie und 
-pfychologie in reine Lebensmechanik auflölen, die alle 
Lebenserfcheinungen ohne Ausnahme, felbft das Bewugt- 
fein, kaufal erklären follte. So beftechend und blendend 
der Gedanke auch ift, es fcheint, als ob D. felbft bereits 
geahnt hat, ein Erreichen diefes Zieles werde unmöglich 
fein, fonft hätte er fich wohl fchon eher mit dem Bewugt- 
feinsproblem der Tiere befchäftigt. Dag aber D. ein Jahr 
vor feinem Tode, • am legten Punkte der Entwickelung, 
foweit wir fle verfolgen können, die Bewugtlofigkeit der 
Tiere als unbeweisbar bezeichnet hat, ift die dritte Tat- 
fache, die konftatiert werden mug. Sie beweift auf der 
einen Seite, dag D. weit davon entfernt war, Naturgefege 
a priori nach vorher feftgelegtem Schema zu konftruieren 
und dekretieren, dag er feiner extrem-mechaniftifchen 
Theorie felbft die Spige abgebrochen hat, und auf der 
anderen Seite, dag D. trog der Gröge und Konfequenz 
feiner mechanifchen Betrachtungsweife, doch darin einfeitig 
gehandelt hat, dag er im erften Siegesraufdie der neuen 
Naturerklärung die fubftantialen Formen über Bord 
warf. Leibniz hat aus dem richtigen Empfinden der 
Einfeitigkeit diefes Verfahrens heraus hier angeknüpft. 
Er ift es gewefen, der den von D. bereits begonnenen 
Weg fortgefegt und die moderne D.fche Naturbetrachtung 
wieder durch ariftotelifche Anfchauungen ergänzt hat. 



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— 88 — 

Mögen auch lonit leine Organismen mit Mafdiinen ver- 
glichen werden, dadurch, dag er leine Monaden als un- 
entltanden und unveränderlich ausgab, hob er fie aus der 
mechanifchen Betrachtungsweife heraus. Auch verfehlte 
er nicht, indem er dem Menfchen noch die moralifihe Un- 
sterblichkeit vorbehielt, den Tieren die phylilche beizu- 
legen. So iuchte er D.fche und fcholaftifche Anfchauungen 
miteinander auszulöhnen. 



Dem Herrn Geheimen Hof rat Prof elf or Dr. Sieb eck 
geltattet lieh Verfaffer audi an diefer Stelle für die An- 
regung zum Studium der Briefe D.\ fowie für die gütigen 
Winke und Ratlchläge ehrerbietigen herzlichen Dank aus- 
sprechen. 



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Literaturverzeichnis. 

Benutzt wurden: 

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Oeuvres de Descartes publiees par Charles Adam et 
Paul Tannery, Tome I-VII, IX, Paris (Cerf) 1897 bis 
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Paulsen, Ueberweg-H e inze, Windel band; Wundt, 
Vorlesungen über die Menschen- u. Tierseele, Hamburg 1897*; 
Was mann, Instinkt und Intelligenz im Tierreich, Frei- 
burg i. B. 1897. 

III. 
Bark, F., D.' Lehre von den Leidenschaften. Diss. Rostock 1892. 
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126. Bd. Wien 1892. 
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Glogau, G., Darlegung und Kritik des Grundgedankens der carte- 

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.Meincke, A., D.' Beweise vom Dasein Gottes. Dissert. Heidel- 
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Pfeffer, W., Die Entstehung der Philosophie D.' nach seiner Kor- 
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Rodrigues, Gustave, L'existence du monde exteneur d'apres D. 
These präsentere ä la Faculte* des Lettres de l'Uni versitz de 
Paris. Paris 1904 ( 

Rose, Fritz Otto, Die Lehre von den eingeborenen Ideen bei D. und 
Locke. " Diss. Bern 1901. 

Sardemann, F., Ursprung und Entwickelung der Lehre vom lumen 
divinum, lumen naturale etc. bei D. Diss. Leipzig 1903. 

Schaarschmidt, Carl, Des Cartes und Spinoza* Bonn 1850. 

Scheel, Otto, in der Theol. Literaturzeitung. Leipzig 1902. Sp. 663. 

Schneider, Herrn, Die Stellung Gassendis zu D. Diss. Halle a. S. 
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Schwartz, H., D.' Untersuchungen über die Erkenntnis der Aussen- 
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Seyring, F., Über D.' Urteilslehre (Arch. f. Gesch. d. Ph., Bd. 6, 
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Stock, O., D/ Grundlegung der Philosophie. Diss. Greifswald 1888. 

Thilo, Chr. A., Über die Religionsphilosophie des D. (Ztschr. f. ex. 
Philos. III. 1862, S. 121— 182). 

Trognitz, Bernhard, Die mathematische Methode im D.schen philos. 
System. Rg. Pr. Saalfeld 1887. 



Bemerkungen* 

Descartes (= D.) wird nur unter Angabe von Band und Seite 
obiger Ausgabe (z. B. I, 54), die übrigen Schriftsteller nur mit Na- 
mens- und Seitenangabe (z. B. Thilo (180)) zitiert. — Nur einmal an- 
gezogene Schriften werden im Texte selbst unter vollem Titel auf- 
geführt. Die mit einem * versehenen Autoren konnten erst nach 
Fertigstellung der Arbeit eingesehen werden. 



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b8909465 1643a 



Lebenslauf. 



Geboren bin ich, Wilhelm Anton Jofef Meyer,, 
katholifiher Konfeffion, am 17. April 1874 zu Menden, Kr. 
Herlohn, als Sohn des verstorbenen Kgl. Eifenbahnbeamten 
Wilhelm Meyer und feiner Ehefrau, Elifabeth geb. Wiede- 
kind. Am 27. Februar 1893 erlangte ich das Reifezeugnis 
des Gymnafiums zu Brilon und lag darauf acht Semefter 
philofophifthen und theologifthen Studien ob, und zwar je 
vier Semefter an der Königlichen Akademie zu Münfter 
und an der Bifchöflichen philofophifch-theologifthen Fakul- 
tät zu Paderborn. 

Die erfte Anftellung erhielt ich am 6. April 1897 als 
vicarius trium regum an der Stadtkirche zu Gefeke, Kr. 
Lippftadt; zugleich wurde ich von Oftern 1897 ab an der 
höheren Stadtfchule dafelbft mit Genehmigung der König- 
lichen Regierung zu Arnsberg kommiifarifth als Lehrer 
befihäftigt. Am 22. September 1898 erhielt ich von der 
Königlichen Prüfungskommiffion des Provinzialfchulkol- 
legiums zu Münfter das „Zeugnis der Befähigung als 
Rektor an Mittelfihulen oder höheren Mädchenfchulen mit 
fremdfprachlichem Unterricht", übernahm darauf am 4. Ok- 
tober desfelben Jahres die proviforifihe Leitung der hö- 
heren Stadtfchule zu Gefeke, wurde auf Vorfdilag des 
Kuratoriums von der Königlichen Regierung zu Arnsberg 
am 31. Januar 1899 definitiv als Rektor an* genannter 
Schule angeftellt und am 1. April desfelben Jahres von 
dem Bifchöflichen Generalvikariate zu Paderborn zum 
Kanonikus an der Stifts- und Kollegiatkirche zu Gefeke 
ernannt. In diefen beiden Stellungen bin ich bis heute 
tätig. 



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